Julia Extra Band 348
und schwach, sanft und hart. In ihrem Inneren nagte ein gewaltiger Kummer. Niemals hätte er vermutet, dass sie nicht das Partygirl war, als das die Klatschblätter sie darstellten.
„Kurz, nachdem ich erfahren hatte, dass ich schwanger war, habe ich das Baby verloren.“ Sie schluckte schwer. Für einen Moment schien es, als würde sie wieder in Tränen ausbrechen. Doch sie fing sich rasch. „Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich bin stärker, als du denkst. Niemand wird mich davon abbringen, für Aliz mein Bestes zu geben.“
Gestern, als er sie von der Bar des Nobelhotels beobachtet hatte, hatte er sie für oberflächlich gehalten. Doch sie verfügte über eine Tiefe, die er ihr nicht zugetraut hatte.
„Wer mag die Veronica St. Germaine aus den Klatschblättern sein?“, fragte er. „Die Frau, die gerade neben mir sitzt, kann es unmöglich sein.“
„Oh, doch. Die Zeitungen übertreiben natürlich, aber ein Fünkchen Wahrheit steckt dahinter.“
„Kaum zu glauben“, erwiderte er.
„Damals wollte ich mich gegen meinen Vater auflehnen“, erklärte sie. „Je bunter ich es trieb, desto wütender machte ihn das. Hast du nie rebelliert?“
Die Frage überraschte ihn. Ein feiner Schmerz machte sich in seiner Herzgegend bemerkbar. „Haben wir das nicht alle?“, entgegnete er beiläufig.
Dabei hatte er so etwas nie getan.
Als seine Mutter kurz nach seinem zwölften Geburtstag den Drogen verfallen war, hatte er quasi über Nacht erwachsen werden müssen. Wenn er nicht dafür gesorgt hätte, dass sie etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf gehabt hatten, wären sie wahrscheinlich verhungert und erfroren. Die Drogenabhängigkeit seiner Mutter hatte ihm seine Kindheit geraubt.
Rebellion war das Letzte gewesen, was ihm in den Sinn gekommen wäre, da er sich um wichtigere Dinge hatte kümmern müssen. Das konnte er Veronica natürlich nicht erzählen, sie würde ihn womöglich bemitleiden.
„Vermutlich hast du recht. Aber für mich sind diese Zeiten endgültig vorbei. Ich habe noch viel vor und schon zu viel Zeit verschwendet“, warf sie ein.
Er lachte auf. „Du bist 28 Jahre alt und Präsidentin eines Landes. Da sprichst du von Zeitverschwendung?“
Ganz unvermutet lächelte sie. Eine Welle des Verlangens erfasste ihn, als er ihren Mund betrachtete. Am liebsten hätte er sie noch einmal geküsst.
„Stimmt natürlich. Dennoch weiß ich erst jetzt, was ich will. Und ich bedaure, dass ich so lange dafür gebraucht habe.“
„Und was willst du?“ Im Moment wusste er nur zu genau, was er wollte. Natürlich würde er sich zurückhalten. Sie auf der Party zu küssen war eine Sache, sie hier im Auto zu küssen etwas völlig anderes.
„Du wirst mich auslachen.“
„Bestimmt nicht.“
„Doch. Aber sei’s drum. Also: Ich möchte ein Zuhause haben und eine Familie gründen. Meinen Traum leben und den Mann finden, der mich liebt und mich so nimmt, wie ich bin.“
Er schluckte. Ein Zuhause. Eine Familie. Damit kannte er sich nicht aus. „Ein schöner Traum.“
„Du findest ihn lächerlich.“
„Nein.“
„Doch.“
Er seufzte. „Das ist es nicht. Ich bezweifle nur, dass du weißt, was es bedeutet, kein Zuhause zu haben. Du misst dem Wort zu viel Bedeutung bei und glaubst, dass es reicht, um dich glücklich zu machen. Dabei bist nur du für dein Glück verantwortlich.“
Langsam entzog sie ihm ihre Hand. Er war zu weit gegangen. Aber vielleicht war es besser so. Was ihn betraf, durfte sie sich keine Illusionen machen. Sie mussten alles, was über die berufliche Ebene hinausging, im Keim ersticken.
„Mir war gar nicht aufgefallen, wie zynisch du bist“, sagte sie.
„Nicht zynisch. Nur realistisch. Ein Zuhause ist kein Märchenschloss. Es bedeutet nur, dass man ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hat. Daran hat es dir nie gemangelt. Nicht jeder Mensch kann sich so glücklich schätzen.“
Sie senkte den Kopf. „Du hast recht. Aber ich meinte etwas anderes, etwas, das man nicht greifen kann.“
Der Wagen hielt vor dem Hotel, in das sie am Morgen gewechselt waren. Raj stieg aus und hielt die Tür für sie auf.
„Ich dachte, du würdest mich verstehen“, sagte sie, als sie neben ihm stand.
„Das tue ich. Nur bin ich nicht deiner Meinung. Du solltest dankbar sein, dass du niemals auf der Straße schlafen und dich fragen musstest, wo du etwas zu essen herbekommst. Sei dankbar, dass du nie um einen Fetzen Decke kämpfen musstest, weil du sonst erfroren wärst. Du hast immer
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