Julia Extra Band 358
ablehnte; sie hatte Angst vor einer romantischen Mondscheinnacht mit ihm.
„Auf keinen Fall“, antwortete er bestimmt. „Lass uns jetzt aufbrechen.“
Alyssa schauderte. War das die Wirklichkeit, oder träumte sie nur? Bis auf das Licht aus Lysanders Suite herrschte geheimnisvolle Dämmerung, alles schlief schon. Niemand würde von ihrem Abenteuer erfahren. Oder doch?
„Und wenn uns jemand sieht?“
Wieder lachte der Prinz leise. „Solche Kleinigkeiten spielen keine Rolle. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, muss man die Gelegenheit beim Schopfe packen. Und er ist gekommen, Alyssa.“
Unsicher verschränkte sie die Arme vor der Brust und trat einen Schritt zurück. Mit niedergeschlagenen Augen blickte sie auf die Spitzen seiner blank polierten Reitstiefel, als läge dort die Antwort auf all ihre Fragen. „Ich weiß nicht …“
„Aber ich weiß es. Und jetzt schnell, sonst verpassen wir, wie sich der Mond über die Felsgipfel erhebt, das ist ein atemberaubender Anblick.“ Er fasste ihre Hand. „Lass uns die Gelegenheit nutzen, die Nacht ist perfekt.“
Alyssas Herz pochte wie wild, sie war wie benommen. Deutlich fühlte sie den Druck seiner Hand und roch den Duft seines Rasierwassers, während sie Seite an Seite durch seine Privaträume gingen. Wie viele Frauen mochte er schon hier hergebracht haben?
Sie erreichten die Ställe, ohne dass sie jemandem begegnet wären. Der Rest war einfach: Lysander half Alyssa, eine wunderschöne Stute zu satteln, zäumte seinen Hengst auf, und gemeinsam entflohen sie in die Nacht.
Noch nie hatte Alyssa einen Ritt so genossen. Die Pferde der Kahanis waren schon immer weltberühmt für Ausdauer und Schönheit gewesen, und die in bläulich violettes Abendlicht getauchte Wüstenlandschaft flog nur so an ihnen vorbei. Alyssa lachte vor Freude, als sie über den harten Sandboden galoppierten, doch der Wind riss ihr den Laut von den Lippen.
Nach einer ganzen Weile passierten sie einen Vorposten, dann kam auch schon eine hohe Wehrmauer in Sicht. Ein schmaler gewundener Pfad führte bis zu dem mächtigen, mit Eisen beschlagenen Tor, das sich von Lysander erstaunlich leicht und leise öffnen ließ.
Als sie in den Burghof ritten, schreckten sie einen Schwarm Tauben auf. Als die Vögel wie wild um ihre Köpfe flatterten, wurde es Alyssa doch etwas unheimlich zumute. Lysander schien es zu ahnen, denn er sprach beruhigend auf sie ein. „Keine Angst, dies ist die sicherste Festung in ganz Rosara. Ich komme oft hierher, wenn ich niemanden sehen und endlich meine Ruhe haben möchte.“
Erstaunt sah sie ihn an. „Du ziehst dich in die Einsamkeit zurück? Das passt doch gar nicht zu dir!“
„Meine Zeiten als Playboy sind endgültig vorbei! Statt mich auf Partys zu amüsieren, muss ich mich jetzt auf meine Pflichten konzentrieren. Diese Umstellung fällt mir nicht leicht, daher brauche ich ab und zu eine Auszeit. Hier finde ich Ruhe und kann dem strikten höfischen Protokoll entfliehen.“
Lysander saß ab, um dann auch Alyssa aus dem Sattel zu helfen. Dabei hielt er sie länger als notwendig, aber da niemand zusah, gestattete sich Alyssa den Luxus, die Berührung zu genießen, anstatt sich dagegen zu wehren.
Kaum hatten sie den Pferden die Zügel über den Kopf geworfen, um sie in den Stall zu führen, eilten zwei Diener aus dem Torhaus. Sie nahmen ihnen die Tiere ab und reichten Lysander eine brennende Fackel.
„Wie romantisch!“ Alyssa beobachtete ihn verstohlen. Im Feuerschein wirkten Lysanders Gesichtszüge noch aristokratischer und markanter.
„Nicht nur romantisch, sondern auch notwendig“, klärte er sie auf. „Hier gibt es keine Elektrizität. Das Palais der Königin war im fünfzehnten Jahrhundert auf der Höhe der Zeit, doch heutzutage würde keine Königin mehr hier wohnen wollen. Es gibt keine Beleuchtung, von Satellitenfernsehen, Whirlpool und Klimaanlage ganz zu schweigen.“
Er hielt das Licht höher, sodass Alyssa sich besser umsehen konnte. In ihrer Fantasie sah sie ganz deutlich, wie Lysanders Vorfahren an diesem paradiesischen Ort lachten, aßen und tranken.
Das Gebäude stand in der Mitte des Hofes. Lysander führte Alyssa jedoch nicht direkt zum Haupteingang, sondern entlang der Burgmauer zu einem Seitenflügel, wobei er mit seiner Fackel weitere anzündete, die in Wandhalterungen steckten.
Dann öffnete er ein Tor aus kunstvoll geschmiedetem Eisen, und sie betraten einen Garten. Beete gab es nicht, aber Bäume, Sträucher und ein Meer
Weitere Kostenlose Bücher