Julia Extra Band 358
Leben aussieht. Bis dahin waren wir ausschließlich von Privatlehrern hier im Palast unterrichtet worden. Darauf hatte mein Vater bestanden, so fortschrittlich er ansonsten auch war.“
„Deine Kindheit muss sehr einsam gewesen sein.“
Lysander schüttelte den Kopf. „Ich hatte Akil und sah es als meine Pflicht, ihm zu helfen. Er war ein eher verträumtes und schüchternes Kind und entsprach so gar nicht den Erwartungen, die an ihn als den zukünftigen Repräsentanten Rosaras gestellt wurden. Ich habe ihn beschützt und ihm viele seiner Pflichten abgenommen, das hat mir eine Aufgabe gegeben und mich sehr selbstbewusst werden lassen.“
Er zuckte die Schultern. „Als er dann König wurde, übernahmen seine Berater meine ehemalige Funktion, ich wurde nicht mehr benötigt und stürzte mich in das sogenannte süße Leben. Akil ist nie damit einverstanden gewesen, er wusste, dass ich meine Fähigkeiten verkommen ließ.“
„Und warum hast du dir keine angemessene Beschäftigung gesucht? Du besitzt außergewöhnliche Führungsqualitäten, das sieht jeder, der dich hier bei Hofe erlebt.“
„Danke, Alyssa. Es klingt, als ob du meinst, was du sagst.“
„Hast du etwas anderes erwartet?“
Er lächelte belustigt. „Wenn du wüsstest, mit welchen Komplimenten Frauen schon versucht haben, mich in die Falle zu locken.“
Sie waren jetzt oben auf einem Plateau angekommen, von dem man einen herrlichen Ausblick über die Ebene hatte. Lysander parkte und öffnete die Türen. Ra’id sprang sofort nach draußen und machte sich auf Erkundungstour.
„Lauf nicht zu weit!“, rief Lysander ihm hinterher.
Alyssa lachte. „Mit seinen kurzen Beinchen kommt er in dem Sand nicht weit, und bei den wenigen Dornsträuchern, die es hier gibt, ist er weithin sichtbar.“
Trotzdem ließ sie ihn nicht aus den Augen, als Lysander und sie ihm langsam folgten. Beide schwiegen. Alyssa war in Gedanken immer noch bei Lysanders unglücklicher Kindheit, wollte aber das Thema nicht wieder anschneiden.
Es war trocken und heiß, nur ab und zu sorgte eine leichte Brise für Abkühlung. Die Landschaft faszinierte Alyssa mehr und mehr. Das Fehlen fast jeglicher Vegetation wurde durch ein atemberaubendes Farbspiel wettgemacht. Der Sand und die Felsen schimmerten in der Hitze in allen Schattierungen von Orange über Ocker zu Beige und Braun.
„Einfach überwältigend“, bemerkte Alyssa schließlich. „Da kommt keine Großstadt mit.“
„Meiner Erfahrung nach ist ein Leben in Kasinos und Nachtclubs auch nicht zu verachten.“
„Vermisst du es?“
Lysander antwortete nicht, sondern lächelte nur.
„Für die Medien kam es bestimmt überraschend, wie radikal du deinen Lebensstil geändert hast“, vermutete sie. „Die breite Öffentlichkeit würde über die Autorität, die du hier genießt, und über deine harte Arbeit nur staunen.“
„In Europa vielleicht, in Rosara nicht. Die Menschen hier verstehen mich. Sie wissen, damals bin ich gegangen, weil ich nicht das fünfte Rad am Wagen sein wollte, und jetzt bin ich zurückgekommen, weil ich gebraucht werde. Ich liebe mein Land und werde alles tun, damit das Volk in Frieden leben kann. Deshalb ist mir Ra’ids Entwicklung so wichtig. Es gibt Stimmen, die ihn nicht als den nächsten König sehen wollen.“
Entsetzt blieb Alyssa stehen. „Auf dem Weg vom Flughafen zum Palast hast du behauptet, dass Ra’id nicht gefährdet ist!“
„Das stimmt auch, denn diese Menschen möchten mich zum König. Beruhigt dich das?“
„Ich weiß nicht.“ Zweifelnd sah sie ihn an. „Was würde dann mit Ra’id passieren?“
„Alyssa, bei mir ist er sicher, das schwöre ich dir.“ Seine Stimme klang belegt. „Bis ich einen eigenen Sohn habe, ist Ra’id mein Erbe und bleibt in deiner Obhut. Aus diesem Grund wollte ich die beste Nanny der Welt für ihn. Was immer auch geschehen mag, ich werde Ra’id stets mit dem Respekt und der Liebe behandeln, die ihm als Sohn meines Bruders zustehen. Bestens für Ra’id zu sorgen, ist ein absolutes Muss für mich.“
„Für mich auch.“ Alyssa nickte nachdrücklich und drehte sich lächelnd zu Ra’id um, der Eidechsen in einer Felsspalte beobachtete. Lysander entging ihr mütterlicher Blick nicht, und er lächelte ihr zu.
Alyssa sah ihn an. „Dieses Lächeln steht dir ausgezeichnet, Lysander, du solltest es öfter zeigen.“
„Das trifft auch auf dich zu, Alyssa. Ob du es glaubst oder nicht, ich wollte dir gerade das Gleiche sagen.“
Das Picknick
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