Julia Extra Band 358
betäubend duftender Blumen gruppierten sich in natürlicher Harmonie um ein kreisrundes Gebäude mit einem hochgewölbten Kuppeldach.
„Das ist ein Observatorium, mein Lieblingsplatz. Von hier aus kann man wunderbar die Sterne beobachten.“
Alyssa war von der Szenerie überwältigt. Glühwürmchen schwebten über weißen Lilien und hellen Rosen, die selbst in der Dunkelheit zu erkennen waren, und der süßlich schwere Duft der Blüten mischte sich mit dem herben und harzigen Geruch der Zedern. In einem knorrigen Rosenstrauch schlug eine Nachtigall an.
„Der Legende nach ist es das Klagelied einer ehebrecherischen Königin, die hier bis zu ihrem Tod in der Verbannung leben musste“, meinte Lysander leise.
„Wie könnte eine Frau hier unglücklich sein?“, flüsterte Alyssa, um den Zauber des Ortes nicht zu stören. „Es sei denn sie bereut, einem Mann vertraut zu haben, der es nicht wert gewesen ist.“
„Offensichtlich sprichst du aus Erfahrung“, antwortete er ebenso leise.
„Still!“ Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Es war nur eine flüchtige Berührung, trotzdem spürte sie, wie er die Muskeln anspannte, und sah auf. Ihre Blicke trafen sich in dem Moment, als eine zweite Nachtigall in silbrig hellen Tönen dem Lied der ersten antwortete. Lysander und Alyssa lauschten gebannt, bis der Gesang verstummte.
Er nahm ihre Hand. „Komm, lass uns beeilen, sonst verpassen wir das Schönste.“ Er führte sie zur Mauer und über eine Treppe oben auf den Wehrgang. Von hier aus hatte man freien Blick bis zum nächtlichen Horizont, an dem schon ein heller Schein zu entdecken war.
Alyssa verschlug es den Atem. „Man scheint mitten im All zu stehen.“
Lysander löschte seine Fackel und stütze sich dann auf die Brüstung. „Ja, dieser Ort ist wirklich einmalig, doch möchtest du jeden Tag, jede Nacht deines restlichen Lebens hier verbringen – getrennt von deinen Freunden und den Vergnügungen und Lichtern der Stadt?“
„Ja.“ Sie nickte nachdrücklich.
„Das dachte ich mir. Vielen Menschen gefällt es hier jedoch nicht, die Natur ist zu überwältigend und von modernem Komfort kann keine Rede sein. Akil wollte die Burg modernisieren und zu seiner Residenz machen, doch seine Frau hat sich dagegen gesträubt.“
„Ich hätte es nicht abwarten können, hier zu leben, und die Renovierung wäre mir egal gewesen.“
Lysander lachte. „Da bist du bestimmt die absolute Ausnahme, jede andere Frau würde schreiend das Weite suchen, wenn sie nur einen Tag lang ohne zeitgemäßes Badezimmer auskommen müsste.“
Sie stimmte in sein Lachen ein. „Ich bin eine Nanny, also werde ich mit allem fertig.“
„Dann bist du eine einmalige Frau.“
Sie stützte die Ellenbogen auf die Brüstung. „Für dich vielleicht. Anscheinend bist du bisher nur Frauen begegnet, die allein auf Äußerlichkeiten Wert gelegt haben. So bin ich nicht.“
„Ich auch nicht.“ Er runzelte die Stirn und blickte in die Ferne. „Dies ist ein schönes Fleckchen Erde. Ich werde dafür sorgen, dass es auch ein glückliches wird.“
„Für mich ist es bereits ein kleines Paradies“, antwortete sie verträumt.
Von der Wüste her wehte kalte Luft, doch die von der sengenden Sonne aufgeheizten Mauern strahlten auch jetzt noch eine angenehme Wärme ab. Dennoch war Lysander besorgt. „Wenn es dir reicht, sag mir Bescheid. Ich selbst könnte die ganze Nacht hier verbringen.“
„Ich auch.“ Alyssa seufzte.
Sie schwiegen und beobachteten, wie sich der Mond langsam über den Horizont schob, bis er in ganzer Pracht über den zackigen Felskämmen stand. Alyssa schauderte. Die Nachtigallen, die Blumen, das Mondlicht und Lysander – sie war wie berauscht.
Als hätte Lysander nur auf diese Reaktion gewartet, legte er ihr den Arm um die Schultern. „Lass mich dich wärmen“, bat er mit vor Leidenschaft rauer Stimme.
Wortlos rückte Alyssa von ihm ab, und sein Arm fiel ins Leere.
Lysander überlegte. Alyssas Eigenart, sich anders als erwartet zu verhalten, hatte sie von Anfang an zu einer außergewöhnlich interessanten Frau gemacht. Langsam jedoch rebellierte er gegen diese Behandlung. Warum tat sie das? Er spürte genau, dass sie sich ebenso nach Zärtlichkeiten sehnte wie er.
Die Idee, sich umzudrehen und sie einfach stehen zu lassen, verwarf er wieder. Damit würde er zwar seinen männlichen Stolz retten, eine befriedigende Lösung jedoch wäre es nicht. Die Erinnerungen an Alyssa würden ihn bis an sein Lebensende
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