Julia Extra Band 358
quälen. Solange auch nur die geringste Chance bestand, in Alyssas herrlichen Augen das Glück der Erfüllung leuchten zu sehen, würde er nicht aufgeben. Nur so würde er die Macht brechen, die sie über ihn besaß.
Daher rückte er einfach nach und legte ihr ein zweites Mal den Arm um die Schultern.
Diesmal schüttelte sie ihn energischer ab, obwohl sie vor Erregung bebte. „Bitte nicht!“ Da sie nicht wagte, ihm in die Augen zu sehen, blickte sie weiterhin zum Horizont.
Lysander war frustriert. Was sollte das Zieren? Sie begehrte ihn ebenso heiß wie er sie begehrte.
„Wieso sträubst du dich, Alyssa?“
Sie sah ihn nicht an, sondern blickte zum Horizont. „Es hat nichts mit dir persönlich zu tun.“
„Ganz genau!“
Abrupt drehte sie sich zu ihm um. Sie dachte, er hätte einen Witz machen wollen, doch sein arroganter Gesichtsausdruck belehrten sie eines Besseren.
„Du bist ein unmöglicher Typ, Lysander Kahani!“ Ihre Augen blitzten vor Empörung.
„Aus deinem Mund klingt das fast wie ein Kompliment, Alyssa!“
„Dann freu dich darüber!“
„Was soll der Unsinn?“ Lysander machte keinen Hehl mehr aus seiner Wut. „Ich bewundere dich, bin zärtlich zu dir, und du behandelst mich wie einen Unmenschen! Warum mussten sich unsere Wege nur kreuzen? Warum bist du nicht schon längst mit einem braven englischen Geschäftsmann verheiratet und wohnst in einem hübschen kleinen Haus? Dann hättest du jetzt eine Schar vielversprechender Kinder und ich hätte dich nie getroffen.“
„Nein danke.“ Alyssa schüttelte sich. „Man muss ein Glas Milch nicht leer trinken, um zu merken, dass sie sauer ist.“
„Und was soll das wieder heißen?“
Sie lehnte sich über die Brüstung. „Das verrate ich dir nicht. Warum soll ich mit dir über meine Erfahrungen sprechen, wenn du bereust, mir auch nur begegnet zu sein?“
„Das habe ich nicht gesagt!“
„Ich will keine alten Wunden aufreißen! Ich will mir nicht wieder anhören müssen, endlich erwachsen zu werden und Tatsachen zu akzeptieren, anstatt kindischen Illusionen nachzuhängen!“
Irritiert runzelte Lysander die Brauen. „Was soll das, Alyssa? Du legst mir Worte in den Mund, die ich nie geäußert habe. Derartige Anschuldigungen habe ich nie erhoben.“
Alyssa schnaubte nur verächtlich.
Das Glitzern ihrer Augen zeugte von Wut und lag nicht am trügerischen Licht des Mondes, so viel war Lysander klar. Was war nur los mit ihr? Am liebsten hätte er sie an den Schultern gepackt und durchgeschüttelt, bis sie wieder zur Besinnung kam.
Doch das wäre ein taktischer Fehler gewesen. Er atmete einige Male tief durch, um sich wieder zu beruhigen. „Du frierst, Alyssa. Lass uns ins Observatorium gehen. Eine Vollmondnacht fordert gerade dazu heraus, den Sternenhimmel zu betrachten – unser Essen wird mittlerweile auch fertig sein.“
Er drehte sich um und ging ihr voraus zum runden Gebäude in der Mitte des Gartens. „Komm rein und lass uns über alles sprechen“, forderte er sie ruhig auf und fragte sich, wie lange er sich so abgeklärt und diszipliniert würde benehmen können.
Wortlos folgte Alyssa ihm ins Innere, das mit all der Pracht eingerichtet war, die sie aus dem Rosenpalast gewohnt war. Ein großer Tisch war anscheinend in aller Eile gedeckt, mit Blumen geschmückt und zu einem kalten Büfett umfunktioniert worden. Lysander nahm den Champagner aus dem Kübel, öffnete die Flasche und schenkte jedem ein Glas ein. Sie prosteten sich zu.
„Du bist also verheiratet gewesen, Alyssa“, stellte er fest.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nur verlobt. Er hieß Jerry, und alles ist schon seit Monaten aus. Er liebte nicht mich, sondern seinen Job – aber genau das kannst du auch mir vorwerfen. Da sich unsere Lebenseinstellung in einem wesentlichen Punkt glich, lief zuerst auch alles gut. Aber dann … dann …“ Sie verstummte.
Genau in diesem Moment schlug die Nachtigall wieder an. Ihr Gesang besaß eine Eindringlichkeit, die Alyssa beseelte und ihr Mut schenkte. Langsam trank sie einen Schluck Champagner, stellte ihr Glas beiseite und reckte das Kinn. Unerschrocken sah sie Lysander direkt in die Augen.
„Ich habe ein reines Gewissen und brauche mich für nichts zu schämen. Er war derjenige, der nebenbei eine Affäre hatte.“
„Manche Männer scheinen das zu brauchen“, antwortete Lysander verständnisvoll, obwohl ein solches Verhalten nicht seinem Stil entsprach; zwei Beziehungen zur gleichen Zeit hatte er noch nie
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