Julia Extra Band 358
Verführungskünste reinzufallen! Du bist nichts als ein Feigling, der sich etwas beweisen will! Du trennst dich nicht aus Überzeugung, sondern nur, um dir und der Welt zu demonstrieren, dass du dazu in der Lage bist! Widersprich mir nicht, es ist sinnlos!“
Damit hatte Alyssa ins Schwarze getroffen, das bewies ihr sein betroffener Gesichtsausdruck. Zum ersten Mal im Leben sah sich Lysander mit seinem Beziehungsmuster konfrontiert. Doch seine Gefühle waren zu aufgewühlt, um angemessen damit umzugehen.
„Ich muss mir überhaupt nichts beweisen.“ Seine Stimme klang schneidend. „Du vertrödelst deine Zeit mit unnötigen Diskussionen. Dein Leben steht auf dem Spiel, wenn du länger hierbleibst, nicht meins, lass dir das gesagt sein! Geh jetzt, bevor es zu spät ist, du bist hier nicht sicher!“
„Ich gehe, aber nicht, weil du es so willst, Lysander Kahani. Ich gehe, weil Ra’id mich braucht. Meinetwegen scher dich zur Hölle!“
„Deine Gleichgültigkeit ist Balsam für meine Seele! Von mir aus mach Ra’id so viele Vorschriften wie du willst, mich jedoch lass mit deinen Moralpredigten zufrieden!“
Alyssa hörte ihn schon nicht mehr. Noch während sie sich umdrehte, um die Treppe hinaufzulaufen, landete ein Hubschrauber vor dem Haupteingang, und das Dröhnen der Rotoren erstickte jedes andere Geräusch.
Alyssa konzentrierte sich ganz auf die letzten Reisevorbereitungen. So gut sie es vermochte, verdrängte sie die Gedanken an Lysander und die Nacht im Palais der Königin.
Die fieberhafte Stimmung im Palast hatte Ra’id aufsässig und reizbar gemacht, ständig fragte er nach Lysander und wartete auf einen Besuch von ihm. Alyssa war klar, blieb sie weiterhin bei Ra’id, würde sie Lysander nicht meiden können, würde täglich daran erinnert werden, wie dieser Mann ihr das höchste Glück geschenkt hatte, nur um sie hinterher umso tiefer fallen zu lassen.
Die Hektik und das Chaos bei Hofe hatten jedoch auch ein Gutes, Alyssa fand kaum Gelegenheit, mit ihrem Schicksal zu hadern. Für einen Nervenzusammenbruch fehlte einfach die Zeit.
Zurück in Combe House, versuchte Alyssa, Lysander gänzlich aus ihrem Gedächtnis zu streichen – ein unmögliches Unterfangen.
Täglich, fast stündlich, wurden neue Nachrichten über Lysander und Rosara ausgestrahlt. Alyssa machte es sich daher zur Aufgabe, Ra’id von Fernseher und Radio fernzuhalten. Sie redete sich ein, es seinetwegen zu tun, um ihn nicht mit Dingen zu belasten, die er noch nicht verstand. In Wirklichkeit jedoch wollte sie sich selbst vor den Neuigkeiten schützen.
Sie wusste nicht, welche Meldung schlimmer wäre, die, Lysander sei in Gefahr oder die, er sei erfolgreich in den Palast zurückgekehrt, um wieder sein gewohntes Leben aufzunehmen. Beides würde ihr das Herz zerreißen.
Eines Morgens, es war draußen noch dunkel, wachte sie auf, weil in Ra’ids Räumen der Fernseher in voller Lautstärke plärrte. Sie warf sich ihren Morgenmantel über und eilte ins Wohnzimmer. Im Schlafanzug hüpfte Ra’id auf der Couch hin und her und klatschte in die Hände.
„Onkel Lysander hat gewonnen! Onkel Lysander hat gewonnen!“, rief er. Alyssas Tadel, verbotenerweise an den Fernseher gegangen zu sein, nahm er überhaupt nicht zur Kenntnis. „Onkel Lysander hat gewonnen!“, krähte er.
Bei ihren Bemühungen, Ra’id wieder zu beruhigen, bekam sie die Nachrichten nur bruchstückhaft mit, doch die Worte „Königliche Hochzeit“, drangen deutlich an ihr Ohr. „Jetzt kann Onkel Lysander wieder nach Hause kommen und endlich heiraten!“ Ra’id war völlig aus dem Häuschen.
Alyssa fuhr herum und starrte auf den Bildschirm, der gerade Lysanders Gesicht in Nahaufnahme zeigte. Er schien sie, nur sie, anzulächeln. Doch nein, die Kamera fuhr zurück und zeigte, wem sein gewinnendes Lächeln galt. Einem der rebellischen Stammesfürsten, mit denen er an einem Konferenztisch saß.
„Lysander heiratet?“ Alyssas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Natürlich!“ Ra’id machte auf dem Sofa einen Purzelbaum. „Er heiratet Prinzessin Peronelle.“
Wie gebannt starrte Alyssa auf den Apparat.
„Er liebt … eine Prinzessin?“ Sie fühlte sich, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Halt suchend griff sie nach einer Stuhllehne.
„Heute Prinz und Prinzessin, morgen König und Königin, genau wie im Märchen“, verkündete Ra’id weise. „Der Fernsehsprecher hat gesagt, König Boduan schickt Prinzessin Peronelle nach
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