Julia Extra Band 358
Atem.
Er lächelte, als hätte er den wahren Sinn ihrer Worte nicht verstanden.
„Es tut mir leid, aber die Pflicht hat Vorrang“, meinte er.
Trotzdem könntest du mich küssen, dachte sie verzweifelt und hob die Arme, um noch einmal die Finger durch sein dichtes schwarzes Haar gleiten zu lassen. Doch sie kam nicht dazu. Lysander umfasste ihre Hüften und zog sie so dicht an sich, dass sie seine Erregung spüren musste. Alyssa sollte spüren, wie sehr er sie begehrte, wie gern er bei ihr geblieben wäre.
„Pass gut auf dich auf, Liebster“, sagte sie leise.
Lysander, der zärtlich ihren Rücken gestreichelt hatte, ließ sie abrupt los und trat einen Schritt zurück. Sprach sie von Liebe? Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er sie misstrauisch.
„Ich passe immer auf, Alyssa. Sehr genau sogar.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern und musterte sie eindringlich und kühl.
„Lysander, was ist los mit dir?“
„Nichts. Hoffe ich.“
Er drehte sich um, ging zum Jeep, und bevor Alyssa einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er dem Fahrer bereits ein Zeichen gegeben. Der Motor heulte, Reifen wirbelten den Wüstensand auf, dann brauste der Geländewagen davon.
Lysander winkte nicht; er drehte sich nicht einmal zu ihr um.
Lysander schloss die Augen und lehnte sich im Sitz zurück. Er liebte es, mit dem Feuer zu spielen, aber das, was er gerade getan hatte, war unverzeihlich. Sein Plan war eine perfekte Verführung gewesen, um sein Verlangen nach Alyssa zu stillen.
Doch Gefühle, die zu gefährlich waren, um sie stark werden zu lassen, hatten der Situation eine unvorhergesehene Wendung gegeben. Alyssas tiefe Verletztheit, die sie so tapfer zu verbergen suchte, hatte sein Herz gerührt und ihre Tränen hatten seinen Beschützerinstinkt angesprochen.
Was war ihm auch anderes übrig geblieben, als sie mit den Mitteln zu trösten, die er beherrschte?
Er blickte in den Seitenspiegel. Alyssa wurde immer kleiner, bis er sie schließlich in der Staubwolke, die das Auto hinterließ, überhaupt nicht mehr erkennen konnte. Hoffentlich war sie wirklich die Frau, für die er sie hielt. Sie war so anders als alle anderen, sie musste einfach verstehen, wie es in ihm aussah! Auch ihr hatte das Leben schließlich auf schmerzhafte Weise bewiesen, wie unrealistisch es war, das Glück in einer langfristigen Beziehung zu suchen.
Alyssa und er liebten es, unabhängig zu sein, das würde ihnen helfen, ihrer Romanze nicht allzu lange nachzutrauern. Gewiss, Alyssa hatte geweint, eine kleine, erklärliche Schwäche, die sich mit ihrer Situation – dem neuen Job in einem völlig fremden Land – erklären ließ. Er hatte sie wieder zuversichtlich gestimmt und damit ganz nebenbei auch sein eigenes Problem gelöst.
Leider hatte er dabei gegen seine eigenen Prinzipien verstoßen: Er hatte Gefühle zugelassen. Die Anteilnahme an Alyssas Schicksal war nämlich nicht gespielt gewesen. Immerhin hätte es schlimmer kommen können. Lysander lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen.
Er hatte ein erotisches Abenteuer an einem verwunschenen Ort ersehnt. Das hatte er bekommen, doch hatte er sich dabei leider emotional weit mehr als beabsichtigt eingebracht. Der Ruf aus dem Palast war für ihn fast eine glückliche Fügung.
Von sich aus hätte er es nämlich nicht übers Herz gebracht, Alyssa zu verlassen, das gestand er sich ehrlich ein. Da eine Liaison weder für sie noch für ihn infrage kam und er nicht noch mehr Porzellan zerschlagen wollte, blieb ihm nur eine Möglichkeit: Er musste Alyssa umgehend aus seinem Leben verbannen.
Alyssa lief zurück und hastete die Treppe zum Wehrgang hoch. Von dort aus konnte sie die Staubwolke verfolgen, die der Jeep aufwirbelte. Sie blieb, bis das Auto in dem Gebäudekomplex des Palasts verschwunden war.
Langsam stieg sie die Treppe zum Burghof hinunter. Sie ging zum Bad, legte ihre Kleider auf eine Bank und stieg in das warme Quellwasser. Es wirkte wie Balsam auf ihr aufgewühltes Gemüt, das zwischen Hoffen und Bangen schwankte.
Was sie für Lysander fühlte, hatte sie für Jerry nie gefühlt, und es war weit mehr als sexuelles Verlangen.
Aufrecht und mit energischen Schritten ging Lysander über den langen Korridor zu seinem Büro. Niemand hätte seiner zuversichtlichen Miene entnehmen können, wie es in ihm in Wirklichkeit aussah. Er machte sich die bittersten Selbstvorwürfe. Nie hätte er seine Pflichten so lange vernachlässigen dürfen! Es war ein schweres Versäumnis
Weitere Kostenlose Bücher