Julia Extra Band 358

gehabt wie er, bevor sie sich im Waisenhaus begegnet waren. Und so sollte es auch bleiben. Kummer und Scham hatten in dem neuen Leben, das Zephyr für sich aufgebaut hatte, nichts verloren.
    Als Zephyr damals schließlich akzeptiert hatte, dass seine Mutter ihn nicht wieder aus dem Waisenhaus abholen würde, war das der erste Schritt gewesen, um sich von dem Leben, das er kannte, zu distanzieren. Sein Vater hatte sich nichts dabei gedacht, „Gefälligkeiten“ von Zephyrs Mutter zu verkaufen – wie auch die der anderen Frauen, die für ihn arbeiteten. Damit hatte der Mann das magere Einkommen aus den Erträgen seines ererbten Olivenhains aufgebessert. Der illegitime Sohn, der aus dem „Testen der Ware“ hervorgegangen war, hatte ihn nie interessiert.
    Als Zephyr von seiner Mutter im Waisenhaus abgeliefert worden war, weil sie ein neues Leben fernab des Bordells beginnen wollte, glaubte Zephyr noch, dass sie zurückkehren würde. Was sie Wochen später auch tat. Doch sosehr der kleine Junge auch weinte, bettelte und flehte … sie nahm ihn nicht mit.
    Erst nach mehreren Besuchen wurde ihm klar, dass er nicht mehr zum Leben seiner Mutter gehörte. Genau wie sie nicht mehr zu seinem gehörte. Und so jung er auch war, sah er das bald als neu gewonnene Freiheit an. Er war nicht länger der Sohn einer Hure. Ein Waisenkind hatte zumindest keine Vergangenheit.
    Vermutlich wäre Zephyr bis zum Ende der Schulzeit im Waisenhaus geblieben, wenn nicht der Widerling, dessen Gene er in sich trug, plötzlich auf den Gedanken gekommen wäre, dass ein illegitimer Sohn besser war als gar kein Sohn. Zephyr hatte sich davonmachen müssen. Sein Freund Neo war zusammen mit ihm weggelaufen. Auf den Straßen von Athen hatten sie sich durchgeschlagen, bis sie schließlich zusammen auf einem Frachter angeheuert hatten, auch wenn sie dafür ihr wahres Alter verschweigen mussten.
    Für Neo war es der erste Schritt zu dem Leben gewesen, das sie beide jetzt genossen. Doch Zephyrs Reise hatte lange vorher begonnen. Und so unnahbar Neo auch erscheinen mochte, verglichen mit seinem Geschäftspartner war er ein gefühlvoller Mann. Denn Zephyrs Inneres – das, worauf es wirklich ankam – war kalt und hart wie Marmor.

1. KAPITEL
    „Wann lassen wir denn endlich die Bomben fallen?“
    Piper Madison sah zu dem Knirps mit dem dunklen Schopf hin, der dem Steward mit großen unschuldigen Augen diese Frage stellte.
    Die Mutter des Jungen zwang ein verlegenes Lachen hervor. „Seit er mit seinem Großvater im Museum die B52 gesehen hat, glaubt er, alle Flugzeuge seien für den Krieg ausgerüstet.“ Wohl nicht zum ersten Mal erklärte die entnervte Mutter ihrem Sohn, dass sie mit dem Flugzeug zu einem Besuch bei Grandpa und Grandma unterwegs waren und unterwegs keine Bomben abwerfen würden. Vermutlich hatte der Kleine die Hoffnung aber noch nicht ganz aufgegeben, denn als der Steward dies bestätigte, ließ der Junge enttäuscht die Schultern sacken. Piper schmunzelte vor sich hin.
    Vor ein paar Jahren hatte auch sie darauf gehofft, irgendwann einmal Mutter zu werden. Doch dieser Traum war zusammen mit ihrer Ehe gestorben. Sie hatte es akzeptiert – akzeptieren müssen –, aber manchmal, in Momenten wie diesem, begehrte ihr Herz noch immer auf. Allerdings sah es nicht so aus, als würde ihr Kinderwunsch je Wirklichkeit werden.
    Piper lehnte sich im Sitz zurück und wandte den Blick von Mutter und Sohn weg und zur Luke hinaus. Müsste Athen nicht langsam in der Ferne zu sehen sein? Ihr Puls beschleunigte sich, als sie daran dachte, dass sie ihn bald treffen würde – Zephyr Nikos, ihren Auftraggeber und Parttime-Bettpartner.
    Sie war aufgeregt, ihn endlich wiederzusehen – ihn und den Ort, wo er geboren worden war. Außerdem … wer würde nicht gern einmal das Paradies besuchen?
    Denn das war das Ziel – eine kleine griechische Insel, einst das Feriendomizil einer reichen griechischen Familie. Der Patriarch hatte die Insel an Stamos & Nikos Enterprises verkauft, als er Geld brauchte, und Zephyr und sein Partner Neo Stamos planten, die Insel zu einem luxuriösen Urlaubsressort zu machen. Piper hatte den Auftrag für die Inneneinrichtung erhalten. Dafür stand ihr ein Budget zur Verfügung, mit dem sie jede Hilfe finanzieren konnte, die sie brauchte.
    Es war fantastisch, ein solch exklusives Projekt von Anfang an zu betreuen. Nicht nur würde es ihrer kleinen Einrichtungsfirma enormen Auftrieb geben, sie freute sich auch schon darauf, ihre