Julia Extra Band 359
erzählen?“
Er legte den Kopf gegen die Stütze. „Nein. Und du?“
„Kennst du sie nicht bereits?“
„Ich weiß das, was ich gesehen habe. Sie war schön. Charmant. Sie hat meinen Vater verzaubert. Und was hast du in ihr gesehen?“
Noelle biss sich auf die Unterlippe. „All das, was du gesagt hast. Sie hat immer ein bisschen die süße Unschuld gespielt und damit ihren Kopf durchgesetzt. Sie war klüger als ich und sie hat mich angehalten, im Leben Geld anzuhäufen, was mir anscheinend nicht mehr gelingt.“
„Sie war unehrlich, im Gegensatz zu dir. Das hat mit Klugheit nichts zu tun. Sondern mit Betrug.“
„Und wie würdest du das bezeichnen, was wir gerade machen?“
„Wir betrügen auch. Aber aus gutem Grund. Vertrau mir.“
Sie wünschte, sie könnte es.
Dann schwiegen sie wieder, während Ethan eine geschwungene Straße nahm, die zum Strand führte. Noelle ließ das Fenster herunter, um die salzige Luft und das Rauschen der Wellen hereinzulassen. Alles war besser als das bedrückende Schweigen.
Nachdem Ethan den Wagen vor dem Hotel abgestellt hatte, stieg er aus. Doch diesmal half er Noelle nicht, die ihm wenig später verblüfft in die weitläufige Lobby folgte.
Ihr zog sich der Magen zusammen, als sie mit klackenden Absätzen hinter ihm herlief. Sie war schon einmal mit ihrer Mutter hier gewesen, als sie in Brisbane aufgetreten war. Kaum waren sie angekommen, hatte sie schon wieder üben müssen, während ihre Mutter ausgegangen war, wie immer. Noelle war allein zurückgeblieben.
„Wir übernachten in dem Zimmer, wo der Flügel steht, stimmt’s?“
Abrupt blieb Ethan stehen und drehte sich um, die Miene immer noch angespannt. „Ja.“
„Ich war schon öfter hier. Immer, wenn wir in Brisbane waren, haben wir hier übernachtet.“
Ein seltsam kaltes Licht flackerte in seinen Augen. „Ach wirklich?“
„Ja. Ich meine … es gefällt mir hier. Es ist … hübsch.“
„Wenn du lieber woanders übernachten möchtest …“
„Nein, ist schon in Ordnung.“
Sie ging an der Wand aus Stein vorbei, an der Wasser herunterrann. Es wurde seitlich an den vergoldeten Aufzügen abgeleitet, damit die Gäste in ihrer Designerkleidung nicht nass wurden.
„Wann hast du dieses Hotel übernommen?“, wollte sie wissen, als sie nach ihm den Lift betrat.
„Vor ein paar Jahren. Es ist das erste Hotel, das mein Großvater mir übergeben hat. Mein Vater hat es früher geleitet.“ Die letzten Worte spuckte er aus, als hätte er etwas Bitteres geschluckt.
„Ich weiß nicht einmal, wer mein Vater ist.“
Als er sich ihr zuwandte, wirkten seine Augen kalt wie Eis. „Manchmal wünsche ich mir, dass es bei mir auch so wäre.“
Es fiel ihr schwer, diesem harten, wütenden Blick standzuhalten, aber sie schaffte es. Lange genug hatte sie sich geduckt und in ihrer Angst eingeigelt. Doch die Zeiten waren vorbei.
„Warum?“
„Ich glaube, er war deiner Mutter in vielerlei Hinsicht ähnlich. Ein Betrüger.“
Wenig später öffneten sich die Lifttüren und gaben den Blick frei auf eine große Tür in aufwendiger Goldarbeit. Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als Ethan den Code für die Tür eingab.
„Was ist denn?“, fragte er und öffnete die Tür.
„Dieses Hotel passt überhaupt nicht zu dir.“
„Wie willst du das wissen?“ Er hielt ihr die Tür auf, um sie als Erste eintreten zu lassen. Dass er sich automatisch als Gentleman gab, wertete sie als Zeichen seiner wiedergewonnenen Gelassenheit.
„Diese prunkvollen Verzierungen passen nicht zu dir. Dein Hotel in New York scheint eher nach deinem Stil zu sein.“
„Bei einem Hotel geht es nicht um mich, sondern um die Gäste, die dort übernachten.“
„Das stimmt.“ Bei ihren Kompositionen früher hatte sie immer an das Publikum gedacht. Und trotzdem, ein Teil ihrer Seele war auch mit hineingeflossen.
Wäre ihr diese Gabe doch nicht genommen worden. Das Komponieren hatte ihr so viel bedeutet, ihr ganzes Sein durchdrungen. Jetzt war da Stille, und sie wusste nicht, ob sie sich je daran gewöhnen würde. Ihr Körper fühlte sich seitdem fremd an.
Sie schlenderte durch den luxuriös ausgestatteten Wohnraum zu dem großen Balkon. Als sie an dem Klavier vorbeikam, strichen ihre Finger instinktiv über die Tasten. Wenn sie doch vor sich selbst weglaufen könnte, nur für einen kurzen Augenblick.
Sie öffnete die große Flügeltür und trat hinaus, kühle Luft umfing sie. Hier draußen konnte sie zumindest besser atmen. Wenn
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