Julia Extra Band 359
meinen Großeltern vorstellen. Nach dem Abendessen werde ich meinem Großvater meine Absichten darlegen und ihn um den Familienring bitten.“
Ihr Herz schlug heftig, doch sie versuchte, sich ungerührt zu geben. Ein Familienring – vermutlich handelte es sich dabei um ein antikes, unbezahlbares Juwel. Und sie sollte jetzt die Ehre haben, dieses Erbstück an ihrem Finger zu tragen?
„Ich gebe dir den Ring, wenn wir wieder abreisen. Und wir müssen uns eine nette Geschichte für meine Großmutter ausdenken.“
Noelle hatte ein seltsames Gefühl im Magen. „Ich weiß nicht, wie ich mich dabei fühlen soll, den Ring deiner Familie zu tragen, wenn … wenn wir doch lügen.“
„Na und? Ich gebe den Ring zurück, nachdem unsere Ehe gescheitert ist.“
Noelle konnte dies nicht so einfach abtun, verschwieg es aber. „Warum hat deine Mutter den Ring nicht bekommen?“, fragte sie stattdessen.
„Weil er nicht neu war. Sie mag nichts Altes.“ Er grinste schief. „Und meine Großmutter hätte nie zugelassen, dass sie ihn neu einfassen lässt.“
„Familientraditionen sollte man nicht brechen, denke ich. Obwohl es in unserer Familie keine gab.“
Es wäre sinnlos gewesen, deshalb jetzt wehmütig zu werden. Wie oft hatte sie sich gewünscht, dass die Dinge anders ständen und dass die Beziehung zu ihrer Mutter auf etwas anderem als nur auf ihrer Karriere basieren würde. Doch sie wollte nicht länger darüber nachdenken, was hätte sein sollen, nicht mehr. Sie würde das Geld nehmen und ihr Leben weiterführen. Und sie würde etwas aus sich machen, ohne ihren Lehrer, ohne ihre Mutter, ohne Ethan.
Sie hatte genug davon, eine Marionette zu sein. Jetzt würde sie die Sache selbst in die Hand nehmen.
„Bei meiner Familie hat das mehr mit Status als mit Sentimentalität zu tun. Meine Mutter ist eine Neureiche, also hat sie für Traditionen nichts übrig. Ich übrigens auch nicht“, erklärte er, während sie ein weiteres Tor passierten und auf ein riesiges Grundstück mit sattgrünen, gepflegten Rasenflächen fuhren. Die drei Brunnen vor dem Eingang schienen nur dem Zweck zu dienen, den Gästen zu zeigen, über welchen Reichtum die Eigentümer verfügten.
Ethan stellte den Wagen in der Auffahrt ab, stieg aus und hielt Noelle die Tür auf. Es juckte sie in den Fingern, seine Wange mit den dunklen Bartstoppeln zu berühren. Aber sie tat es nicht, weil sie damit eine Grenze überschreiten würde.
Keine Show ohne Publikum. Eine Berührung war nur dann erlaubt, wenn es Zeugen gab. Sonst wäre es etwas Persönliches, und das wollte sie nicht.
„Bist du bereit?“, fragte er.
Die vier Jahreszeiten von Vivaldi erklangen in ihr und gaben ihr den Halt, den sie brauchte. Sie nickte.
„Dann werde ich dir jetzt meine Familie vorstellen.“
Ein Essen bei seinen Großeltern war immer eine förmliche Angelegenheit. Doch auch wenn Nathaniel und Ariana Grey der etwas steife Charme der oberen Zehntausend anhaftete, hatte das Leben mit ihnen Ethan mehr Halt gegeben als das mit seinen Eltern.
Nach dem Zusammenbruch seiner Mutter hatte er die meiste Zeit bei ihnen verbracht. Sein Vater war zu beschäftigt gewesen, um ein Kind zu versorgen, seine Mutter zu krank. Sein Großvater war sehr streng gewesen, aber er hatte sich wenigstens um ihn gekümmert. Genau wie Noelle war Ethan nicht sonderlich angetan davon, seinen Großvater anzulügen.
Unter dem Tisch griff er nach ihrer Hand. Eine verhaltene Geste, die nicht offen von Besitztum sprach, sondern vielmehr etwas Persönliches hatte. Auch wenn er sich einredete, es wäre anders.
Doch Noelle Birch machte ihn allmählich verrückt. Warum sonst drängte es ihn danach, ihre weiche Hand zu halten? Dafür gab es keine andere Erklärung.
Der Blick seines Großvaters war auf Noelle fixiert, und Ethan wusste, dass Nathaniel seine Schlüsse gezogen hatte. Mochten auch fünfzehn Jahre seit der Affäre zwischen Ethans Vater und Celine vergangen sein, niemand hatte diese Zeit vergessen.
„Wie lange kennt ihr euch schon?“ Ariana lächelte beide an, sodass Ethan sich fragte, ob sie Noelle nicht erkannt hatte.
Ein wenig panisch sah Noelle zu Ethan hinüber.
„Ein paar Monate“, erwiderte er. „Wir haben uns anfangs heimlich getroffen.“
„Das muss wohl so sein“, meinte sein Großvater. „Denn in der Presse stand nichts davon.“ Jetzt wandte er sich an Noelle. „Nun, Sie sind früher recht gerne gereist. Wie läuft es denn so mit Ihrer Karriere?“
Noelle setzte sich gerade
Weitere Kostenlose Bücher