Julia Extra Band 361
als dass sie noch Haltung und Würde wahren konnte.
Jake kamen Dutzende Fragen in den Sinn, die er ihr gern gestellt hätte. Schuld daran waren die langen Jahre im Polizeidienst. Immer war er auf der Suche nach den Antworten, die ihn eine Sache bis auf den Grund durchschauen ließen. Aber die Frau, die vor ihm stand, war nicht in einen Fall verwickelt, den er bearbeitete. Sie war eine Fremde, und er bekam langsam eine Vorstellung, warum sie so verzweifelt war. Also folgte er einem Instinkt, dem er schon lange nicht mehr nachgegeben hatte. Unbeholfen legte er einen Arm um ihre zitternden Schultern und zog sie an sich.
Als Jake sie in die Arme nahm, spannte Caros Körper sich nervös an. Jake erging es ähnlich. Auch wenn er den Verdacht hatte, dass es bei ihm aus anderen Gründen geschah als bei ihr. Es war ein herrliches Gefühl, sie in den Armen zu halten. Er spürte ihr weiches Haar an seiner Wange. Ich muss an den eigentlichen Grund dieser Umarmung denken, ermahnte Jake sich. Es war nicht die Umarmung eines Liebespaares. Er wollte sie lediglich trösten.
„Alles wird gut. Ich glaube, der Sturm lässt schon nach. Morgen ist alles vorbei, und die Straßen werden geräumt. Schneller, als sie denken, sind Sie wieder auf dem Weg zu Ihrem Sohn.“
In Wahrheit konnte es Tage dauern, bis die Straßen freigeräumt wären.
„Aber nicht rechtzeitig zu Ostern“, sagte sie traurig. Ihr Kopf ruhte noch an seiner Schulter, und er hörte sie erneut schluchzen.
„Er ist doch erst drei. In diesem Alter nehmen Kinder es mit der Zeit noch nicht so genau. Sie feiern einfach ein paar Tage später mit ihm Ostern nach. Es wird ihm nichts ausmachen.“
„Haben Sie Kinder?“
Jakes Körper verkrampfte sich, er ließ Caro los. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Einer der ersten Einträge in seinem Tagebuch fiel ihm wieder ein:
Ob du wohl ein Junge oder ein Mädchen geworden wärst?
Ein Junge hätte mir gefallen. Wenn du älter geworden wärst, hätte ich dir beigebracht, wie man mit Holz arbeitet. Genau wie es dein Großvater mir beigebracht hat. Das wäre natürlich nur gegangen, wenn du mein Temperament geerbt hättest und nicht das von Dean.
Natürlich hätte ich mich genauso gefreut, wenn du ein kleines Mädchen geworden wärst. Dir hätte ich natürlich auch das Arbeiten mit Holz beibringen können. Junge oder Mädchen – beides hätte mich sehr glücklich gemacht.
Auch wenn das Tagebuch ursprünglich dafür gedacht gewesen war, seine Wut abzubauen und sich mit seiner Entlassung aus dem Polizeidienst auseinanderzusetzen, benutzte Jake es hauptsächlich dafür, seinen Schmerz und Kummer wegen des Babys zu verarbeiten, das Miranda abgetrieben hatte.
„Nein. Keine Kinder.“
Caro hob den Kopf und sah ihn an. Wollte er noch etwas hinzufügen?
„Aber i…ich verbringe viel Zeit mit Riley und Jillian.“ Zumindest hatte er das, bevor er in einen anderen Bundesstaat gezogen war.
„Es sind sehr nette Kinder.“
„Die besten, die es gibt.“ Aber in Gedanken war Jake noch mit seinem eigenen Kind beschäftigt.
„Jake?“, fragte Caro leise.
Er schluckte und zwang sich, nicht mehr an die Vergangenheit zu denken. „Wo ist Ihr Sohn im Moment?“
„In Burlington. Bei seinem Vater und seiner Großmutter väterlicherseits. Sein erster längerer Besuch seit … nun, seit ein paar Monaten. Eigentlich sollte er nur ein paar Tage bleiben, aber jetzt ist er schon über eine Woche dort.“
Es geht also um einen Sorgerechtsstreit mit dem Exmann, dachte Jake.
„Sie haben vorhin am Telefon mit ihrem Sohn geredet.“
Ich hab dich lieb.
Die Wörter, die sie vorhin geflüstert hatte, und ihr liebevoller Gesichtsausdruck bekamen mit einem Mal eine ganz andere Bedeutung. Sie hatte nicht als Geliebte gesprochen, sondern als Mutter. Als Mutter, die ihrem Kind Mut macht. Er spürte einen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Sein eigenes Kind hatte so etwas nicht erleben dürfen.
„Ja, er hat Angst und vermisst mich.“ Caro klang besorgt.
„Und dabei sollte er doch nur ein paar Tage bei seinem Vater verbringen“, sagte Jake ins Blaue hinein.
„Darauf hatten wir uns geeinigt. Cabot sollte das Wochenende bei seinem Vater und seiner Großmutter verbringen. Sie wollten Ostern vorfeiern, da Cabot am Ostersonntag bei mir sein sollte.“
„Aber die Spielregeln haben sich geändert“, vermutete Jake.
Sie schloss die Augen. „Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Truman war schon immer jedes Mittel recht gewesen,
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