Julia Extra Band 363
über ihren Tod hinwegkommen.“
„Meinen Sie die Frauen, denen Sie bei Ihrer Arbeit begegnen?“
„Da sind so viele, denen ich nicht helfen kann. Ich weiß, dass ich mich damit abfinden muss, aber meine Seele weigert sich, das zu akzeptieren.“
Seine Worte berührten sie tief. „Glauben Sie denn nicht, dass Sie genug getan und genug gegeben haben? Vielleicht sollten Sie über einen Jobwechsel nachdenken?“
„Aber ich bin sehr gut in dem, was ich tue. Soll ich lieber zu Hause sitzen und mir den Kopf darüber zerbrechen, was aus all den Menschen wird, die meine Hilfe benötigen?“
Der Preis, den er zahlte, war zu hoch. Eines Tages würde er daran zerbrechen. „Ich meine nur, vielleicht sollten Sie es nach all den Jahren anderen überlassen, Ihr Werk fortzuführen. Einen Schritt weitergehen, so wie Angus es getan hat.“
Er musterte sie mit einem milden Lächeln, als hätte er ein naives Mädchen vor sich. Trotz ihres Mitgefühls wurde Emma ungehalten. „Sie stellen sich das so einfach vor“, sagte er dann.
Ihr aufsteigender Ärger verrauchte ebenso schnell, wie er gekommen war. Er hatte ja recht. Wie konnte sie sich einbilden, seinen Schmerz zu verstehen?
Als das Essen serviert wurde, saßen sie beide in Gedanken versunken da.
Emma fragte sich, wie sie Gianni helfen könnte, und warum sie überhaupt den Drang dazu verspürte. Schließlich konnte sie die Stille zwischen ihnen nicht mehr ertragen. Langsam hob sie eine Hand und legte sie vorsichtig auf seine. Sie merkte, dass er vor Anspannung leicht zitterte. Einen Augenblick später drehte er seine Handfläche nach oben und verschränkte seine Finger mit ihren. Dann zog er ihre Hand an seinen Mund und hauchte einen Kuss auf die empfindliche Innenseite ihres Handgelenks. Hundert Schmetterlinge schienen in ihrem Magen aufzuflattern.
„Lassen Sie uns erst einmal essen. Dann sehen wir, wohin dieser Abend uns führt“, sagte er leise.
Emma nahm kaum wahr, was sie aß. Jegliches Zeitgefühl war ihr abhanden gekommen. Während des Essens sprachen sie nicht mehr, aber Gianni ließ sie keine Sekunde lang aus den Augen. Seltsamerweise empfand sie seinen durchdringenden Blick nicht als unangenehm. Im Gegenteil, er gab ihr das Gefühl, aufregend und begehrenswert zu sein. Während des Essens sprachen sie wenig. Die Luft zwischen ihnen schien wie elektrisch aufgeladen. Mochte es Zufall oder Schicksal sein, das sie zusammengeführt hatte, beide spürten, dass sie einem besonderen Menschen begegnet waren.
Nach dem Dessert – einem Sorbet aus frischen Früchten, das angenehm kühl auf der Zunge zerschmolz – schlug Gianni vor: „Was halten Sie davon, wenn wir uns den Kaffee auf meiner Terrasse servieren lassen? Man hat von dort einen fantastischen Blick über den See.“
Die Aussicht war das Letzte, woran Emma dachte, als sie aufstand und sich von ihm aus dem Restaurant führen ließ. In einer beschützenden Geste legte er ihr eine Hand auf den Rücken, als sie dem hölzernen Steg zu den hoteleigenen Chalets am See folgten. Emma fühlte sich wie eine Prinzessin. Noch nie hatte ein Mann sie so zuvorkommend behandelt. Sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, aber hier und jetzt war ihr das egal.
Nur diese eine Nacht. Zwei Menschen mit verletzten Seelen. Dunkle Schatten lasteten auf Giannis Vergangenheit und auf Emmas Zukunft. Warum sollte sie sich nicht auf ein Abenteuer mit diesem Fremden einlassen, der ihr so merkwürdig vertraut schien? Wer weiß, ob sie noch einmal die Gelegenheit dazu bekam. Für ein paar Stunden konnten sie einander ihren Schmerz vergessen lassen.
Hand in Hand gingen sie am Ufer entlang, vorbei an einem großen Eukalyptusbaum, an dem ein Glockenspiel befestigt war. Ein leichter Wind trug die zarten Klänge zu ihnen hinüber. Gianni liebkoste mit seinem Daumen sanft ihre Handfläche. Emmas Herz raste.
Kurze Zeit später erreichten sie seine geräumige, komfortable Hütte, die etwas abseits von den anderen direkt am Wasser gelegen war.
Emma spürte abermals Giannis Hand auf ihrem Rücken, als sie die Stufen zur Veranda heraufstiegen. Unauffällig drückte sie sich etwas fester an ihn. „Laufen Sie mir jetzt nicht weg“, flüsterte er dicht an ihrem Nacken, und sein warmer Atem weckte ein ungekanntes Verlangen in ihr, das sie jegliche Vernunft vergessen ließ. Sie hatte nicht geahnt, dass sie zu solchen Gefühlen fähig war.
„Warum sollte ich, wo Sie mir doch Kaffee und eine spektakuläre Aussicht versprochen haben“, gab
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