Julia Extra Band 363
für immer festhalten.
„Guten Morgen, mein Engel.“
Emma schluckte. „Guten Morgen.“ Sie setzte sich auf und zog das Laken über ihre nackte Brust. Hätte sie sich doch bloß aus dem Bett geschlichen, während er noch schlief.
Er schien zu erahnen, dass ihr die Situation unangenehm war, und streichelte ihr sanft über die Wange. „Schluss mit den trüben Gedanken. Es ist nichts Falsches oder Peinliches an dem, was heute Nacht zwischen uns geschehen ist. Nichts, was du bereuen müsstest.“ Sanft hob er ihr Kinn an, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. „Ich danke dir, Emma. Dafür, dass du mir eine unvergessliche Nacht geschenkt hast, und dafür, dass ich in deine Seele blicken durfte.“
Sie wusste, dass er es ernst meinte, und fühlte sich gleich besser. Ja, diese Nacht war ein Geschenk gewesen. Konnte sie denn noch mehr verlangen? Sie wollte die Erinnerung an diese aufregenden, unbeschwerten Stunden in sich bewahren und niemals vergessen.
„Du hast recht.“ Sie küsste ihn zuerst auf den Mund und dann auf die Wange. „Ich möchte jetzt gerne duschen und dann nach Hause gehen.“
„Sì.“
Gianni sah ihr nach, als sie im Badezimmer verschwand. Am liebsten hätte er sie zurückgehalten. Sie hatte ihm so viel gegeben, und in diesem Moment konnte er sich nicht vorstellen, wie er ohne sie weiterleben sollte. Aber sie hatten einander ein Versprechen gegeben. Es gab für sie weder Zukunft noch Vergangenheit. Es gab keine Hoffnung auf mehr als diese eine unvergessliche Nacht. Je schneller er von hier wegkam, desto besser für sie beide.
Wenig später folgten sie dem schmalen Uferpfad zurück in Richtung des Restaurants. Noch immer schien der Klang des Windspiels in der Luft zu liegen, doch als sie zu dem Eukalyptusbaum gelangten, hingen die Glocken stumm in der unbewegten Luft.
Wie eigenartig, dachte Emma. Doch im selben Moment ertönte ein Rascheln aus dem Unterholz, und ein kleiner brauner Vogel flatterte auf die Lichtung zu ihren Füßen. Gianni und Emma standen ganz still und hielten den Atem an, als der Vogel erneut sein Lied anstimmte, das dem Glockenspiel täuschend ähnlich war. Die Melodie war so rein und klar, als käme sie aus einer anderen Welt.
„Das ist ein Leierschwanz“, flüsterte Emma ehrfürchtig. „Ich habe erst einmal zuvor einen gesehen. Das war an dem Tag, an dem Grace geboren wurde.“ Auf einmal breitete sich ein Gefühl von Zuversicht und Gelassenheit in ihr aus. Nein, es gab nichts zu bereuen. Als hätte es seinen Auftrag erfüllt, verschwand das Tier wieder im Gebüsch. Stumm setzten die beiden ihren Weg fort.
Das Lied des Leierschwanzes klang Emma noch den ganzen Morgen im Ohr, während sie sich auf den Besuch bei ihrer Mutter vorbereitete. Es vertrieb ihr die Zeit, bis Grace nach Hause kam, und half ihr, nicht über Giannis Abreise nachzudenken.
Nur einmal schoss ihr ein mahnender Gedanke durch den Kopf. Konnte sie wirklich sicher sein, dass diese Nacht nicht noch ganz andere Folgen haben würde?
Nein. Sie waren vorsichtig gewesen. Ihr Körper würde ihr nicht zum zweiten Mal im Leben einen Streich spielen.
Die Nacht war vorüber, und Emma hatte ihre Wahl getroffen. Jetzt würde sie sich wieder auf die Realität konzentrieren.
***
In den folgenden Wochen hörte sie aus Gesprächen mit Kollegen, dass Gianni sich mit seinem Bruder in Italien versöhnt hatte und zu Angus weiterhin regelmäßigen Kontakt unterhielt. Emma bemühte sich, nicht allzu genau hinzuhören.
Für Gianni wiederum war sein Aufenthalt in Lyrebird Lake ein Wendepunkt gewesen, und das nicht nur wegen Emma, sondern auch aufgrund der Herzlichkeit, mit der Angus und das ganze Dorf ihn empfangen hatten. Es war, als habe dieser Besuch die Farbe in sein Leben zurückgebracht, und nachdem er sich mit Leon ausgesprochen hatte, hielt ihn in Italien nichts mehr.
Darum hatte er keine Sekunde gezögert, als Angus ihm am Telefon seinen Vorschlag unterbreitete. Bis zur Eröffnung der neuen Privatklinik der Bonmaritos in Venedig Ende des Jahres blieb ihm genügend Zeit. Er hätte ohnehin schon längst frischen Wind in sein Leben bringen sollen – sowohl beruflich als auch privat.
So kam es, dass Gianni nur einen Monat nach seiner Abreise abermals seinen Mietwagen – einen Maserati natürlich – vor dem Arzthaus in Lyrebird Lake parkte.
Angus war zu einer vierwöchigen Konferenz in Wien gerufen worden und hatte Gianni gebeten, ihn während dieser Zeit nicht nur in der Klinik zu vertreten, sondern
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