Julia Extra Band 363
auch Louisa Gesellschaft zu leisten. Mit diesem Vorschlag hatte er geradezu offene Türen eingerannt.
Gleich morgen früh würde er seine Arbeit in der Ambulanz beginnen. In den vergangenen vier Wochen hatte er jeden Tag an Emma Rose und ihre gemeinsame Nacht gedacht. Er fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn sie ihm in der Klinik begegnete. Wäre sie angenehm überrascht oder peinlich berührt? Nun, auch damit würde er fertigwerden.
Wenn er ehrlich zu sich selbst war – und das war eine seiner positiven Eigenschaften –, dann hatte er Angus’ Angebot auch ihretwegen angenommen. Er wollte die Frau, die ihn dermaßen verzaubert hatte, unbedingt wiedersehen. Auch wenn das gegen ihre Abmachung war. Natürlich wusste Emma längst, dass Gianni heute seinen Dienst antreten würde.
Wie hätte sie es nicht wissen können, nachdem sie mindestens zehn Kollegen verschwörerisch lächelnd darauf hingewiesen hatten, als sei das ein Grund zum Jubeln.
Emma war anderer Ansicht. Gianni hatte aus ihrem Leben verschwinden sollen. Wobei sie zugeben musste, dass sie insgeheim gehofft hatte, er könne eines Tages zurückkehren. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf hatte sie sich nach langem Zögern zum ersten von mehreren Beratungsgesprächen angemeldet, die verpflichtend waren für jeden, der sich in Australien einem Gentest unterziehen wollte. Aber warum wollte sie auf einmal die Wahrheit über ihr genetisches Erbe erfahren? Nur um zu wissen, woran sie war, sollte Gianni eines Tages nach Lyrebird Lake zurückkehren? Diesen Grund hatte sie der Beratungsstelle jedenfalls nicht angegeben.
Zu allem Überfluss war sie ausgerechnet heute zum Dienst in der chronisch überlasteten Notaufnahme eingeteilt worden, da auf der Geburtsstation nicht viel zu tun war. Wenn das nicht beste Voraussetzungen für ein Wiedersehen mit Gianni sind, dachte sie zynisch.
In der letzten Nacht hatte sie kaum ein Auge zugetan und sich schlaflos im Bett hin und her gewälzt, während tausend Gedanken auf sie einstürzten. Einerseits war sie wütend auf Gianni, weil er gegen ihre Abmachung verstoßen hatte. Gleichzeitig war sie wütend auf sich selbst, weil seine Rückkehr sie in solchen Aufruhr versetzte. Erst im Morgengrauen war sie zur Ruhe gekommen. Sie hatte nichts zu bereuen und würde auch diese Begegnung irgendwie überstehen.
Als Emma die Station betrat, lief sie Christine in die Arme, die nicht nur ihre Cousine zweiten Grades war, sondern auch die gute Seele des Teams, und sie überschwänglich begrüßte. „Emma! Wie schön, dich zu sehen. Wir können hier ein bisschen Unterstützung gut gebrauchen. Vor allem, weil ich heute Nachmittag dringend zum Frisör muss. Seamus ist seit drei Wochen aus Afrika zurück, und wir wollen endlich unseren Hochzeitstag nachfeiern.“
„Das schaffen wir schon“, versicherte ihr Emma. „Wobei du den Frisör gar nicht nötig hättest.“ Verstohlen blickte sie sich auf der Station um. „Wo steckt unser neuer Kollege?“
„Dort hinten.“ Christine deutete auf eines der Betten und senkte die Stimme. „Ich bin zwar eine glücklich verheiratete Frau, aber ich muss sagen, er ist eine wahre Augenweide.“
Emma bemerkte Giannis dunklen Haarschopf, während er über eine ältere Dame gebeugt stand und eine Wunde an deren Ohrläppchen nähte.
Sie erkannte Doris, die sich in diesem Moment zu ihr umdrehte und ihr zuzwinkerte. „Emma, meine Liebe. Wie du siehst, halte ich mal wieder den ganzen Betrieb auf.“
Emma fühlte Giannis Blick auf sich und schaute angestrengt an ihm vorbei zu Doris’ Ehemann, der mit Argusaugen über die Situation wachte.
„Schon wieder ein Missgeschick im Garten, Clive?“
„Ich kann dir sagen“, knurrte der alte Mann gutmütig. „Diesmal ist sie gestolpert und mit dem Ohrring an einem Ast hängen geblieben. Wir sollten besser auf Topfpflanzen umsteigen.“
Emma riss sich zusammen und wandte sich Gianni zu. „Guten Morgen, Dr. Bonmarito“, sagte sie mit fester Stimme.
„Guten Morgen, Emma.“ Strahlend lächelnd sah er zu ihr auf. „Bitte nennen Sie mich doch Gianni.“ Seine warme, tiefe Stimme mit dem italienischen Akzent rief ihre Erinnerung an jene Nacht am See wach, und sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.
Zum Glück konzentrierte er sich schon wieder auf seine Patientin. Er setzte den letzten Stich und lehnte sich zurück. „Ihr Ohr ist so gut wie neu, Doris. Bloß die Schwellung kann etwas schmerzen, wenn die örtliche Betäubung
Weitere Kostenlose Bücher