Julia Extra Band 363
ihr die Beifahrertür aufhielt, musterte er kritisch ihr Gesicht, das blass und angespannt wirkte. Er hatte diese kleine Reise bis ins letzte Detail geplant, um Emma endlich für sich zu gewinnen, aber ihr Anblick ließ ihn zweifeln. „Hast du schlecht geschlafen? Oder ist irgendetwas mit Grace?“
„Grace geht es gut“, antwortete sie ausweichend und ließ sich in den Sitz fallen. Stirnrunzelnd machte er die Tür zu und nahm dann selbst auf dem Fahrersitz Platz.
„Entschuldige bitte“, lenkte Emma ein. „Ich habe tatsächlich nicht gut geschlafen. Und ehrlich gesagt würde ich das hier am liebsten möglichst schnell hinter mich bringen.“
Das klang gar nicht nach der lebensbejahenden, warmherzigen Frau, die er gestern Abend kennengelernt hatte. Was mochte diese Veränderung herbeigeführt haben?
„Was genau möchtest du hinter dich bringen? Den Besuch bei deinen Eltern?“ Er schnallte sich an, steckte den Zündschlüssel ins Schloss und wandte sich ihr zu. „Oder findest du es so schrecklich, einen Tag mit mir zu verbringen? Dann möchtest du mir vielleicht verraten, was ich falsch gemacht habe?“
Nervös biss sie sich auf die Unterlippe. „Du hast nichts falsch gemacht. Bitte, Gianni, ich bin einfach müde und möchte jetzt nicht weiter diskutieren.“
„Möchtest du, dass wir getrennt fahren?“ Er bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen.
Ihr Gesicht spiegelte widersprüchliche Emotionen. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle in die Arme genommen, um sie zu trösten, was auch immer der Grund für ihre innere Unruhe war. Stattdessen fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar. Er wurde einfach nicht schlau aus dieser Frau.
„Getrennt fahren?“, wiederholte sie langsam. „Ach, ich weiß nicht. Lass uns einfach losfahren.“
Das war immerhin etwas. Er startete den Motor, bevor sie ihre Meinung ändern konnte, und lenkte den Wagen auf die Straße.
Nach einigen Hundert Metern schaltete er die Stereoanlage ein, und die warmen Klänge der Tosca erfüllten den Wagen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Emma sich zurücklehnte und die Augen schloss.
Wenig später war sie eingeschlafen, und Gianni ließ seine Gedanken schweifen. Noch immer fand er keine Erklärung dafür, dass es Emma so mühelos gelingen konnte, die Mauer zu durchbrechen, die er seit Marias Tod um sein Herz errichtet hatte.
Er dachte an die wenigen Wochen, die er nach ihrer ersten schicksalhaften Begegnung in Italien verbracht hatte, allein mit der Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht.
Er war zu einer Beerdigung nach Lyrebird Lake gekommen und hatte dabei zu neuem Lebensmut gefunden. Seit dem Morgen, an dem sie dem sagenumwobenen Leierschwanz begegnet waren, fühlte er sich wie neu geboren. Der glockenreine Gesang des Vogels war ihm seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen, ebenso wie Emmas verzückter Gesichtsausdruck, als sie der Melodie gelauscht hatte.
Lyrebird Lake hatte ihn mit offenen Armen empfangen. Er mochte die Menschen, die Landschaft und das Klima. Über kurz oder lang musste Emma einsehen, dass er zu ihrem Leben gehörte – ebenso wie zu dem ihres gemeinsamen Kindes. Dafür würde er kämpfen, das schwor er sich, während Brisbane Kilometer um Kilometer näher rückte. Emma wurde erst wach, als der Wagen auf dem Parkplatz des Hospizes anhielt. Blinzelnd richtete sie sich auf. „Sind wir schon da?“
Mit ihrem verwuschelten Haar und dem schlaftrunkenen Blick sah sie zum Anbeißen aus. Fest umklammerte Gianni das Lenkrad. „ Sì , du hast die ganze Fahrt über geschlafen.“
Aus dem Autofenster erblickte Emma die vertrauten Backsteinmauern. Ob sie ihre letzten Tage ebenfalls an diesem Ort verbringen würde? Der Gedanke schien ihr unerträglich, insbesondere jetzt, mit Gianni an ihrer Seite, der sie daran erinnerte, was ihr verwehrt blieb. Nein, es war besser, wenn er nichts von dem Test erfuhr.
„Hast du an einem Samstag nichts Besseres zu tun als einen Besuch im Pflegeheim?“ Am liebsten hätte sie ihn so weit wie möglich von ihrer Familie ferngehalten.
„Ich möchte die Großeltern meines Kindes wenigstens einmal kennenlernen.“ Entschlossen sah er sie an. „Ob es dir passt oder nicht, du kannst mich nicht vollkommen aus deinem Leben streichen.“
Emma seufzte resigniert und ließ Gianni vorangehen. Als sie den Innenhof betraten, erblickte sie sofort die zusammengesunkene Gestalt ihrer Mutter im Rollstuhl. Ihr Vater stand daneben. Offensichtlich hatten die beiden schon auf sie gewartet. Ein
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