Julia Extra Band 364 (German Edition)
heute Abend wusste ich nicht einmal, dass du Shakespeare magst.“
„Ich habe in England studiert. Wie könnte ich Shakespeare also nicht mögen?“
„Siehst du, nicht einmal das wusste ich!“
Frustriert breitete er die Arme aus.
„Was willst du von mir wissen? Frag mich, und ich werde dir antworten.“
Nach einigem Zögern war Sydneys Neugier geweckt.
„Ich würde gern wissen, warum du dich mit deinem Bruder so unwohl fühlst.“
Für einen kurzen Moment schloss er die Augen.
„Das war ja klar, dass du das fragen würdest. Aber ich habe keine Antwort darauf. Wir haben uns einfach auseinanderentwickelt. Unser Leben war schon in unserer Kindheit sehr … formell.“
„Formell?“
„Wir hatten viele Kindermädchen. Unsere Mutter war mit uns überfordert.“„Überfordert?“
Der Gedanke, dass die Al-Dhakir-Kinder weitestgehend ohne Mutter aufgewachsen waren, tat ihr weh.
„Wir sahen unsere Mutter natürlich manchmal. Aber wir mussten uns vor ihr immer benehmen. Meist verbrachte sie ihre Zeit lieber mit ihren Freunden als mit uns. Es war nicht wirklich ihr Fehler. Sie war unglaublich jung, als sie heiratete.“
„Und dein Vater?“
Er sah sie traurig an.
„Ein guter Mann. Aber leider sehr beschäftigt. Ich glaube, er hatte nie viel Zeit für meine Mutter. Und darum hatte sie keine Zeit für uns.“
Sydney musste an ihre eigenen Eltern denken. Wie sehr sie einander liebten und wie glücklich ihre Kindheit gewesen war. Auch wenn ihre Eltern manchmal enttäuscht gewesen waren, dass sie nicht so wie Alicia war.
„Aber er muss sie doch geliebt haben, wenn er sie geheiratet hat.“
Malik lachte bitter.
„Du kannst das nicht mit deiner Kultur vergleichen, Habibi . In meinem Land werden meist Zweckehen eingegangen. Meine Mutter ist für meinen Vater ausgesucht worden. Und er hat seine Pflicht erfüllt und mit ihr Kinder gezeugt.“
Sydney konnte das nicht verstehen. Wie kalt und gefühllos diese Ehen sein mussten. Und doch war es ganz normal in Jahfar. Die Leute kannten es nicht anders.
Dann dachte sie an ihre eigene Ehe …
„Du hast mir die wichtigste Frage noch gar nicht gestellt“, sagte Malik und durchbrach ihre Gedanken.
„Die da wäre?“
Seine Augen funkelten.
„Du hast nicht gefragt, ob auch mir eine Braut zugewiesen wurde“, fuhr er leise fort.
Eine arrangierte Ehe für Malik? Sie hatte nie darüber nachgedacht. Ihr wurde ein wenig übel bei der Vorstellung.
„War es so?“, erkundigte sie sich zögernd.
Er lächelte verbittert.
„Natürlich. Warum sollte es bei mir anders sein? Ich bin ein jahfarischer Prinz.“
7. KAPITEL
Traurig sah sie ihn mit ihren regengrauen Augen an.
„Du hattest also eine Verlobte?“, fragte sie schließlich.
Er zuckte mit den Schultern, als mache es ihm nichts aus, darüber zu sprechen.
„Dimah war nicht wirklich eine Verlobte, so wie du dir eine Verlobte vorstellst.“
Ungläubig schüttelte Sydney den Kopf. Ihr langes rotbraunes Haar wehte im Wind. Die Böen waren nicht mehr so stark wie zuvor, das Gewitter schien langsam weiterzuziehen. Die Seide ihres Morgenmantels rutschte hoch über ihre Knie und entblößte ihre langen schlanken Beine. Maliks Erregung nahm fast schmerzhafte Ausmaße an. Er erinnerte sich, wie sie diese Beine damals um ihn geschlungen hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Er wollte es noch einmal erleben. Jetzt. Sofort.
„Was soll das heißen?“, fragte sie verwirrt. „Du hattest eine Verlobte und hast dann mich geheiratet? Warum?“
Malik holte tief Luft. Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Der Schmerz und die Schuldgefühle waren zu groß gewesen …
Weit draußen über dem Meer blitzte es, und Sydneys Gesicht wurde für einen Moment taghell erleuchtet. Sie wirkte verwirrt, besorgt. Besorgt um ihn ! Es erschien ihm absurd. Er verdiente kein Mitleid.
„Sie ist gestorben“, erklärte er knapp.
Entsetzt griff Sydney nach seiner Hand. Die Berührung ließ Malik schaudern. Was war das bloß mit dieser Frau? Warum brachte sie ihn immer so durcheinander? Er brauchte sie nicht. Er brauchte niemanden.
Aber er wollte sie. Er wollte sie in seiner Nähe haben, wollte die Berührung ihrer weichen Hände spüren, sie lächeln sehen. Wenn Sydney ihn ansah, hatte er nicht mehr länger dieses Gefühl, nicht liebenswert zu sein. Es war ungewohnt für ihn.
„Das tut mir sehr leid“, erklärte sie leise.
„Es ist schon lange her.“
Er war damals nicht einmal zwanzig gewesen. Jung und
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