Julia Extra Band 365
habe sogar ein Saisonticket. Meine Großmutter ist, wenn überhaupt, eine Anhängerin der Yankees, aber das darf man in Boston ja nicht laut sagen.“
Kate lachte ebenfalls. Es klang unbeschwert und melodisch. „Nun, Mr Red Sox, ich stelle Ihnen gern einen Korb zusammen, der einer alten Dame eher gefällt. Wollen Sie inzwischen vielleicht eine Grußkarte schreiben? Die finden Sie dort drüben.“
„Danke, gern.“ Er suchte eine Karte aus und schrieb seinen Namen darauf.
Das gab ihm die Gelegenheit, sich darauf einzustellen, wie Kate wirklich war: nicht, wie er sie sich vorgestellt hatte.
Sie war, in einem Wort gesagt, wunderschön. Genau die Frau, die er unter anderen Umständen zu einem Date eingeladen hätte. Sie war freundlich, schien gern zu lächeln, und hatte eine warme, angenehme Stimme. Ihr Lächeln hatte es ihm angetan und Empfindungen in ihm geweckt, die ihn überraschten. Brody hatte nicht erwartet, sich so sehr zu ihr hingezogen zu fühlen.
Nun versuchte er, die richtigen Worte zu finden, um sein Versprechen, das er Andrew gegeben hatte, endlich einzulösen. Er hatte sie im Kopf schon hundert Mal geübt, aber jetzt wollten sie ihm nicht über die Lippen kommen. Mit dem Thema durfte er Kate Spencer nicht unerwartet überfallen, er musste irgendwie auf Umwegen dahin kommen. Leichter gesagt als getan! Wahrscheinlich wäre es einfacher, den Mount Everest zu besteigen.
„Wie läuft das Geschäft?“, erkundigte Brody sich bewusst beiläufig.
„Ziemlich gut. Nur montags ist weniger los, was ich nicht übel finde. Es ist beinah wie ein verlängertes Wochenende.“
„Machen Sie all die Kuchen und Süßigkeiten selber?“, fragte er weiter.
Lachend schüttelte sie den Kopf. „Das könnte ich nicht schaffen. Das Geschäft besteht seit 1953 und ist viele Jahre lang ein Familienbetrieb gewesen, aber …“ Plötzlich schien Kate in Gedanken weit weg zu sein. „Jedenfalls habe ich eine Helferin, die für mich von geradezu unschätzbarem Wert ist. Wieso fragen Sie? Wollten Sie sich als Bäcker bewerben?“
„Um Himmels willen! In der Küche habe ich zwei linke Hände.“
„Ganz schön riskant, wenn man mit Messern umgeht“, scherzte sie. „Aber Backen kann man ziemlich einfach lernen. Ich habe keine Ausbildung als Konditorin, sondern alles meiner Großmutter abgeguckt. Von Kindheit an.“
„Sie klingen, als würden Sie sehr gern hier arbeiten“, bemerkte Brody.
„Stimmt! Arbeit ist die beste Therapie.“
Er brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, warum sie plötzlich so unendlich traurig aussah. Wegen Andrews Tod. Und der war auf Entscheidungen zurückzuführen, die er, Brody, am anderen Ende der Welt getroffen hatte.
„Ja, Arbeit kann gut für die Seele sein“, stimmte er zu.
Das versuchte er sich zumindest selbst jeden Tag einzureden, wenn er seine Praxis betrat. Aber seit er aus Afghanistan zurückgekehrt war, hatte er in seiner Arbeit nicht mehr die Befriedigung gefunden wie zuvor.
„Und welche Seelen fördernde Arbeit machen Sie?“, wollte Kate wissen und wurde rot. „Entschuldigung. Das war eine zu persönliche Frage. Sie brauchen sie nicht zu beantworten.“
„Ich bin Arzt“, informierte er sie.
„Ein sehr lohnender Beruf. Viel dankbarer als Backen. Und viel komplizierter, als Teig in Formen zu füllen.“
„Ihr Beruf ist auch lohnend“, hielt er dagegen. „Sie machen Menschen glücklich.“
„Mit viel ungesundem Zucker“, bestätigte sie. „Aber danke für die ermutigenden Worte. Dieser Laden ist seit drei Generationen in der Familie, und wir haben immer unser Bestes gegeben.“
Brody blickte zu den gerahmten Zeitungsartikeln, die an der einen Wand hingen. Die meisten waren lobende Erwähnungen des Familienbetriebs und seiner ausgezeichneten Produkte, das letzte Blatt jedoch zeigte einen gut aussehenden, lächelnden jungen Mann in Uniform unter der Schlagzeile „Bruder der Besitzerin von Nora’s Sweet Shop in Afghanistan gestorben“.
Wie es dazu gekommen war, wusste Brody genau. Wie so oft seither stand ihm alles wieder lebhaft vor Augen. Die staubige, stickige Hütte, in der er abwechselnd betete und fluchte, während er versuchte, Andrew am Leben zu erhalten.
Ohne Erfolg.
Er glaubte, wieder die Brust des jungen Soldaten unter den Handflächen zu spüren, das regelmäßige Auf und Ab der Herzmassage, die so verflucht wirkungslos blieb gegen das ständige Verströmen der Lebenskraft.
Verzweifelt und völlig machtlos hatte Brody dem Sterben zusehen
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