Julia Extra Band 367
nicht so. Lily hatte sich tatsächlich in Neapel verliebt, und es war für sie schon allein eine Frage des Stolzes, dass sie sich für die Dauer ihres Aufenthaltes auch verständlich machen wollte. Auch wenn es nur für wenige Monate war, wollte sie sich wenigstens für diese kurze Zeit in diesem schönen sonnigen Mittelmeerparadies heimisch fühlen.
„Meine Mutter ist eigentlich nicht sehr gesellig“, wandte Ciro nun kritisch ein. „Ich bezweifle, ob sie überhaupt in einen Besuch einwilligt.“
„Das hat sie bereits getan.“
„Wie bitte?“ Er sah sie ungläubig an.
„Ich habe sie gestern angerufen und ihr gesagt, dass ich gern vorbeikommen würde, und sie hat mich zum Kaffee eingeladen.“
Ciro fühlte Zorn in sich aufsteigen, obwohl er den Grund dafür nicht genau benennen konnte. Lag es daran, dass Lily sich nicht erst mit ihm abgesprochen hatte? Oder weil es ihm gar nicht behagte, dass sie sich mit einer Frau traf, zu der er stets eine sehr problematische Beziehung hatte? „Du hast hinter meinem Rücken meine Mutter angerufen und ein Treffen vereinbart?“
„Ja, wenn du so willst. Ich habe tatsächlich das unverzeihliche Verbrechen begangen, höflich sein zu wollen. Etwas, wovon du offensichtlich keinen Begriff mehr hast.“
„Kein Grund, unverschämt zu werden!“
„Warum? Hast du vielleicht das Monopol darauf?“
Für einen Moment sahen sie sich wütend an, keiner bereit, nachzugeben. Ciro fühlte sich fast versucht, zu lächeln. Aber nur fast, denn was sie ihm gerade eröffnet hatte, fand er überhaupt nicht lustig. Warum sollte sie einen völlig sinnlosen Kontakt zu seiner Mutter knüpfen? „Kann ich dich irgendwie umstimmen?“
„Nein. Es sei denn, du kettest mich hier in der Wohnung an. Ansonsten werde ich heute Vormittag zum Kaffee zu ihr gehen.“
„Dann soll es so sein.“ Mit versteinerter Miene nahm Ciro seine Laptop-Tasche. „Aber sie kann sehr schwierig sein … sag also nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
Diese Worte noch im Ohr, machte Lily sich für den Besuch bei ihrer Schwiegermutter fertig. Dreimal wechselte sie ihr Outfit, bis sie sich entscheiden konnte und schon völlig fertig mit den Nerven war. Dann fuhr sie mit dem Taxi zu der großen Stadtwohnung von Leonora D’Angelo und fühlte sich wieder tapsig und ungeschickt, als sie in den eleganten Salon geführt wurde, wo Angelos zierliche Mutter sie erwartete.
Lily setzte sich auf die Kante eines mit Samt bezogenen Stuhls. Es wurde Espresso in winzigen Porzellantassen serviert, und Lily fragte sich plötzlich traurig, wie lange es her war, dass sie so mit ihrer eigenen Mutter beim Kaffee zusammengesessen hatte. Was für einen Rat hätte ihre Mutter ihr wegen Ciro gegeben? Je mehr sie sich diese Fragen stellte, desto mehr wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihre Mutter immer noch vermisste.
Obwohl Leonora D’Angelo gut auf die siebzig zuging, war sie immer noch eine attraktive Frau mit dunklen Augen, die Lily an ihren Sohn erinnerten, und zarten Gesichtszügen. Sie trug ein schlichtes graues Seidenkleid und eine gedrehte Goldkette, und an ihren Händen funkelten exquisite Diamanten. Nach der förmlichen Begrüßung lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und betrachtete Lily kühl lächelnd.
„Die junge Signora D’Angelo sieht etwas blass aus. Ich hoffe, du hast dich gut in Neapel eingelebt?“
Lily schaffte es, zu lächeln, wobei sie sich jedoch fragte, was ihre Schwiegermutter wohl sagen würde, wenn sie ihr ehrlich erzählte, wie es war. Ich kann es gerade so ertragen, mit einem Mann zusammenzuleben, der mich verachtet. Ein Gefühl, das leider nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Denn es ist ganz schön schwer zu lernen, jemanden nicht mehr zu lieben. „Es ist eine wunderschöne Stadt“, antwortete sie aber höflich.
Leonora nickte. „Das finde ich auch, aber für viele ist Neapel auch ein Buch mit sieben Siegeln. Man weiß nie, was einen um die nächste Ecke erwartet.“ Sie lächelte zögernd. „Vielleicht ein bisschen wie mein Sohn.“
Lilys Herz pochte. Würde sie den Schein ihrer Ehe wahren können, wenn Leonora, die Frau, die Ciro besser als jeder andere kannte, mit ihr über ihn reden wollte? „Ja?“, erwiderte sie deshalb unbestimmt.
„Ich bin froh, dass Ciro sich endlich entschieden hat, eine eigene Familie zu gründen. Es hat lange genug gedauert, und manchmal habe ich mich gefragt, warum, andererseits …“ Leonora verstummte und schwieg einen Moment nachdenklich. „Spricht er oft von
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