Julia Extra Band 367
und die brach in Tränen aus, als Kim plötzlich vor ihr stand.
„Kim, das hättest du nicht tun dürfen!“, wiederholte sie immer wieder. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht! Deine Eltern …“
Es dauerte etliche Zeit, bis Kim die alte Haushälterin soweit beruhigt hatte, dass sie die Frage stellen konnte, die ihr auf der Seele lag. „Mary, wo ist Reith? Eigentlich müsste er zu Hause sein, denn …“
„Reith?“ Mary Hiddins schnaufte verächtlich. „ Der ist ausgezogen. Meinen Segen hat er!“
Kim war wie vor den Kopf gestoßen. Solche Töne war sie von Mary nicht gewohnt!
„Mary, wo ist er hin?“, fragte sie ausdruckslos.
„Keine Ahnung! Es interessiert mich auch nicht“, antwortete Mary trotzig, ließ sich dann aber doch erweichen. „Clover Hill, glaube ich.“
Kim gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ist er gerade dort?“
„Das kann ich dir wirklich nicht sagen. Es könnte sein, könnte aber auch nicht sein. Er war mal hier, mal dort – er scheint überall und nirgends zu sein.“
Kim ging in ihr Zimmer, duschte und zog sich um. Sie wählte Cargojeans, flache Schuhe und ein Kapuzenshirt. Ihr Haar flocht sie zu einem Zopf, den sie sich über die Schulter fallen ließ.
Bis auf Lipgloss verzichtete sie auf jedes Make-up. Erst als sie sich etwas Parfüm hinter die Ohren sprühte, fiel ihr auf, wie stark ihre Hände zitterten. Obwohl sie fertig war, ging sie nicht direkt zum Auto. Sie war noch nicht bereit für Clover Hill.
Planlos ging sie durch die Räume, berührte mal diese, mal jene Kunstgegenstände und Erinnerungsstücke, die ihr seit ihrer Kindheit vertraut waren.
Sie sah sich um und lächelte. Es war ihr bei der Renovierung wirklich hervorragend gelungen, Altes und Neues zu einem harmonischen Ganzen zu fügen. Dennoch war irgendetwas anders geworden. Sie runzelte die Stirn.
Das alte Wohlbehagen, der angeborene Stolz auf Saldanha mit all seiner Pracht und langen Geschichte, wollte sich nicht mehr einstellen. Weshalb sah sie ihr Heim plötzlich mit anderen Augen?
Verwirrt verließ sie das Wohnzimmer. Die Erinnerungen, die es weckte, waren nicht mehr alle glücklich – etliche hätte sie sogar am liebsten vergessen. Da kam ihr eine Erkenntnis: Saldhana strahlte für sie keinen wahren Frieden mehr aus.
Kim rief sich zur Ordnung. Wohin verirrten sich ihre Fantasien? Zielstrebig ging sie in den Flur und nahm sich den Autoschlüssel vom Haken.
Einige Fenster des Wohnhauses von Clover Hill waren erleuchtet und Reiths Geländewagen stand in der Einfahrt.
Reith musste also zu Hause sein. Mit weichen Knien ging Kim zur Eingangstür und betätigte den altmodischen Türklopfer.
Nichts rührte sich. So drückte sie die Klinke und trat ein.
Die Tür vom Flur ins Wohnzimmer war geöffnet, ebenso die zur Veranda. Eine Stehlampe brannte, und auf dem Tisch stand ein einsames Glas Brandy.
„Ist da jemand?“, fragte sie vorsichtig.
Als sie keine Antwort erhielt, ging sie weiter zur Veranda. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, entdeckte sie einen Schatten an der Brüstung.
Reith!
Langsam drehte er sich zu ihr um und sah sie an. Er trug Jeans und einen dunkelblauen Pullover, das Haar war zerzaust und seinem Kinn war anzusehen, dass er sich länger nicht rasiert hatte.
Kim, die vor lauter Anspannung den Atem angehalten hatte, holte mühsam Luft und schluckte. „Reith“, erklärte sie leise und sachlich, wie sie sich vorgenommen hatte, „ich habe dich mit Chilli George vor dem Hotel in Perth gesehen. Deshalb bin ich weggelaufen. Ich war nicht unterwegs, um dir nachzuspionieren, das darfst du mir glauben. Ich hatte eine Unterredung mit Damien – aber das ist eine andere Geschichte.“
Plötzlich fiel ihr auf, dass sie ihren Bruder über ihre anderen Probleme völlig vergessen hatte. Sie versuchte, sich wieder auf das zu konzentrieren, was sie Reith sagen wollte. Fahrig wischte sie sich mit der Hand über die Stirn, um den Nebel, der sie plötzlich zu umgeben schien, zu verscheuchen. Wollte ihr Magen etwa schon wieder rebellieren?
„Ich … ich … ich meine …“ Vor Kims Augen wurde es schwarz und ihre Knie gaben nach.
In drei Schritten war Reith bei ihr, fing sie auf und trug sie ins Wohnzimmer. Er legte sie aufs Sofa und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. „Bleib bitte ruhig liegen“, ermahnte er sie und ging zum Tisch, um das Glas Brandy zu holen.
Vorsichtig setzte er es ihr an die Lippen. „Trink“, forderte er sie auf.
Kaum spürte sie den
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