Julia Extra Band 369
„Deshalb darf sie nur in Begleitung der Haushälterin das Anwesen verlassen. Diese Regelung ist mehr als lästig.“
Cherry konnte sich nicht länger beherrschen, offen sagte sie ihm die Meinung ins Gesicht. „Lästig? Ich nenne das grausam! Haben Sie sich schon einmal in Sophias Lage versetzt? Wie müssen sie und ihre Freundinnen sich fühlen, wenn bei jedem Gespräch Ihre Haushälterin danebensitzt und zuhört?“
Seine grauen Augen sprühten vor Zorn, und Cherry konnte sehen, dass es ihm nicht leichtfiel, sich zu beherrschen. Doch es gelang Vittorio, sein Temperament zu zügeln, und als er sprach, tat er dies in einem bewundernswert ruhigen Tonfall.
„Sie sind Gast in meinem Haus, signorina , daher möchte ich Sie mit meinen Problemen nicht weiter belasten. Sophia ist ein Kind, das entsprechend behütet werden muss, dabei sollten wir es belassen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu tun. Fühlen Sie sich wie zu Hause, Garten und Swimmingpool stehen zu Ihrer freien Verfügung. Wir essen um sieben.“
Ohne ihre Reaktion abzuwarten, verließ er den Raum. Fassungslos blickte Cherry ihm hinterher. Was für ein Reaktionär! Wie vor Hunderten von Jahren sprach er seiner Schwester, weil sie ja eine Frau war, Denkvermögen und Entscheidungskraft ab und sperrte sie in einen goldenen Käfig.
Um ihren Ärger abzureagieren, entschloss sie sich, einige Bahnen zu schwimmen, Vittorio Carella hatte ihr ja die Benutzung des Pools ausdrücklich erlaubt.
Cherry ging in ihr Zimmer und öffnete den Koffer. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die beiden bunten und recht knappen Bikinis und den schwarzen Einteiler. Sie entschloss sich für den Badeanzug, das schien ihr in Vittorios Nähe und bei seinen verstaubten Ansichten vernünftiger. Und um ganz sicher zu sein, knotete sie sich auch noch ihren Sarong um die Hüften. So waren selbst ihre Beine züchtig bedeckt. Jetzt brauchte sie nur noch ihre Flipflops.
Während Cherry danach suchte, analysierte sie ihre Gefühle. Eigentlich hätte sie diesem Mann aufrichtig dankbar sein müssen, schließlich hatte er sie aus einer misslichen Situation befreit und ihr großzügig Gastfreundschaft gewährt. Doch er machte sie einfach nur wütend.
Vittorio Carella war so arrogant, so selbstsicher – so männlich. Aber damit konnte sie ihre Undankbarkeit wohl kaum entschuldigen! Sie musste auf jeden Fall die Form wahren und ihn höflich behandeln, gleich heute beim Abendessen würde sie sich bei ihm für seine Hilfe bedanken.
In der Halle blieb Cherry unsicher stehen und betrachtete all die Türen. Welche mochte wohl direkt in den Garten führen? Während sie sich noch umblickte, betrat eine schwarz gekleidete grauhaarige Frau nahezu lautlos die Halle. Zweifellos war sie die Haushälterin.
Kühl blickte sie Cherry an und fragte, ob sie noch etwas benötige. Cherry fand ihr Auftreten ebenso herzlos und distanziert wie das ihres Dienstherrn. Arme Sophia!
Auf Cherrys Bitte gab die Haushälterin ihr ein großes Badelaken, das sie aus einem Schrank neben dem Ausgang zum Garten holte. „Zum Pool gehen Sie bitte einfach geradeaus, signorina “, meinte sie ohne die geringste Spur eines Lächelns. „Eines der Mädchen wird Ihnen sofort etwas Kaltes zu trinken bringen.“
Cherry bedankte sich höflich. Als sie endlich im warmen Sonnenlicht stand, atmete sie erleichtert auf und blickte sich um. Am Beckenrand standen Liegen und etliche kleine Tische mit Sesseln, doch Cherry entschied sich für eine Hängematte, die im Schatten zwischen zwei alte Bäume gespannt war. Sie legte Badelaken, Flip-flops und Sarong ab, lief zum Pool und hechtete kopfüber in das glasklare Wasser.
Im ersten Moment empfand sie es als eisig, doch schnell hatte sie sich an die Temperatur gewöhnt und schwamm in gleichmäßigen und kräftigen Zügen ihre Bahnen. Ihre Lebensgeister regten sich wieder, und sie fühlte sich optimistisch und voller Energie. Schwimmen war schon immer eins ihrer liebsten Hobbys gewesen und die einzige Sportart, in der sie wirklich gut war – im Gegensatz zu Angela, die auch in Turnen und Leichtathletik glänzte.
Doch an Angela wollte sie jetzt wirklich nicht denken. Cherry konzentrierte sich wieder auf ihre Bewegungen und schwamm so lange, bis sie außer Atem war. Erschöpft und zufrieden stieg sie aus dem Wasser und ging zur Hängematte, um sich auszuruhen. Sie knotete sich gerade das Badelaken um die Hüften, als Rosa erschien und einen Krug Saft und einen Teller mit
Weitere Kostenlose Bücher