Julia Extra Band 371
begutachtete sie sich im Spiegel. Schon damals hatte Louise gemeint, sie sähe nicht wie die traditionelle Brautjungfer aus, sondern eher wie … Bei der Erinnerung musste Natasha lächeln. Hätte sie Rakhals Einladung angenommen, dann hätte sie wohl dieses Kleid angezogen, denn in diesem Aufzug hätte auch ein Prinz sich mit ihr sehen lassen können.
Noch immer drehten sich ihre Gedanken um ihn. Und warum auch nicht? Er war der einzige Lichtblick an diesem Tag gewesen.
Es klingelte an der Haustür. Ob das Mark war, um das Geld vorbeizubringen? Oder vielleicht ihre Tante, um zusammen mit ihr den Todestag der Eltern zu begehen?
Normalerweise wäre sie nach unten und zur Tür gerannt, doch in diesem Aufzug warf sie lieber erst einen vorsichtigen Blick zum Fenster hinaus. Aber eigentlich ahnte sie, dass er es war, noch bevor sie die Limousine vor dem Haus stehen sah.
Natasha wusste, dass sie sich irgendwie unbewusst für ihn umgezogen hatte. Wusste, dass die Begegnung heute Morgen nicht nur bei ihr Eindruck hinterlassen hatte.
Und jetzt stand er vor ihrer Tür: Rakhal.
2. KAPITEL
Den ganzen Tag hatte Rakhal sich bemüht, Natasha zu vergessen. Er hatte seine Termine wahrgenommen und dann die beeindruckend lange Liste der weiblichen Namen in seinem Telefonverzeichnis überflogen.
Heute reizte ihn keiner davon.
Er war in die Hotelbar hinuntergegangen, hatte sich in einen der wuchtigen Ledersessel gesetzt und ein Glas Wasser getrunken. Keine zwei Minuten später hatte sich ihm eine weitere Option geboten – jung, blond, schön, ein einladendes Lächeln auf den Lippen.
Ein Blick oder ein Lächeln seinerseits hätten genügt, und sie hätte sich zu ihm gesetzt. Es war immer so leicht für ihn, sowohl hier als auch zu Hause. Rakhal hatte an seinen Harem gedacht, in dem er jeden seiner Wünsche befriedigen konnte, auch nach der Hochzeit. Doch plötzlich langweilte es ihn, dass es ihm so leicht gemacht wurde. Ihm fehlte die Aufregung bei der Jagd.
Er winkte den Ober heran, und statt der Blondine ein Glas Champagner bringen zu lassen, ließ er seine Limousine vorfahren.
Und so parkte der Wagen jetzt vor Natashas Haustür, und er klopfte ein zweites Mal, energischer und ungeduldiger als noch beim ersten Mal. Rakhal hatte keine Zeit für Spielchen, und er hatte auch keine Zeit, um sich Zeit zu lassen. Den ganzen Tag schon beschäftigte sie ihn, den ganzen Tag nagte es schon an ihm – er war das erste Mal in seinem Leben zurückgewiesen worden.
Hatte Natasha etwa schon eine feste Beziehung? Aber nein, etwas an ihrem Verhalten sagte ihm, dass sie keinen Partner hatte. Da war eine Schüchternheit an ihr, eine gewisse Unerfahrenheit, die er bezaubernd fand.
Bei Frauen hatte Rakhal sich bislang nie anstrengen müssen, und er ging davon aus, dass es der Reiz des Neuen war, der ihn hergeführt hatte. Er dachte gerade, dass dieser Reiz wahrscheinlich schnell verblassen würde, doch der Gedanke löste sich in Luft auf, sobald Natasha die Tür aufzog.
Es war, als hätte sie ihn erwartet, als hätte sie geahnt, dass er kommen würde.
Hatte sie vorher bereits reizvoll ausgesehen, so war ihr Aussehen jetzt geradezu überwältigend. Ihr Haar, jetzt trocken, zeigte seine wahre Farbe. Es waren die Farben des Winterhimmels von Alzirz, wenn die Sonne am Horizont jenseits der Wüste versank, ein Feuersturm aus Rot und Orange und Gold. Rakhal wollte es offen sehen, nicht aufgesteckt … Doch das würde er, noch bevor die Nacht zu Ende war, dessen war er sicher.
„Was tun Sie hier?“ Natasha hatte ihre Panik oben im Schlafzimmer bezwungen, jetzt war sie so ruhig und gelassen, wie es ihr möglich war.
„Ich hatte doch gesagt, dass ich Sie um sieben abholen komme.“
„Und ich hatte gesagt, dass ich schon etwas vorhabe.“ Dabei wollte sie ja eigentlich Zeit mit diesem berauschenden Mann verbringen. Den ganzen Tag schalt Natasha sich schon dafür, dass sie seine Einladung abgelehnt hatte, jetzt erhielt sie eine zweite Chance. „Allerdings hat sich das zerschlagen. Meine Freundin fühlt sich nicht wohl.“ Sie konnte nur hoffen, dass das Make-up ihre roten Wangen kaschierte. Sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.
„Nun, da sich Ihre Pläne geändert haben …“ Rakhal wusste, dass sie log, und er würde sie kein zweites Mal fragen. Er hatte sie eingeladen und war zu ihr gekommen, aber er bettelte nie. Stumm stand er da und wartete ihre Antwort ab.
Die Entscheidung fiel Natasha leicht. Er war noch attraktiver, als
Weitere Kostenlose Bücher