Julia Extra Band 371
endlos unwohl in seiner Haut, doch solange Abdul anwesend war, gab es nichts, was er tun könnte. „Jetzt geh mit den Frauen“, sagte er, als die Dienerinnen wiederkamen. „Sie werden dich für die Nacht vorbereiten.“
6. KAPITEL
Rakhal lag auf dem Bett und wartete darauf, dass die Dienerinnen Natasha zu ihm bringen würden.
Er konnte das Geplauder der Frauen hören, begleitet von leiser Musik und Wasserplätschern. Natasha wurde gebadet. Ihre Stimme jedoch war nicht zu vernehmen. Dafür konnte er hier und da den Schatten ihrer Silhouette an der weißen Zeltdecke ausmachen, erhaschte einen Blick auf ihre Locken und ihre Kurven. Und obwohl die Atmosphäre mit den Aromen und der Musik dazu geschaffen war, um anzuregen, wusste er, dass er sich zurückhalten musste.
Seit der Nacht im Hotel waren sie nicht mehr allein gewesen, es hatte keine Möglichkeit gegeben, ihr alles zu erklären. Natasha hätte nie zugestimmt, mit ihm zu kommen, aber er hätte sie auch niemals allein in London zurückgelassen, wo sie sich mit ihrem Bruder hätte auseinandersetzen müssen. Vor allem nicht, wenn die Möglichkeit bestand, dass sie sein Kind in sich trug.
Er hatte nicht voraussehen können, dass sie mit ihm in die Wüste kommen würde, dass sein Vater auf diese eine weitere Nacht bestehen würde. Doch zumindest würden sie reden können, sobald sie in seinem Bett allein wären.
Natasha jedoch fürchtete sich davor, zu Rakhal ins Bett zu gehen. Vom Bad aus konnte sie seinen Schatten an der Zeltdecke sehen. Die gestrige Nacht war paradiesisch gewesen, aber unter diesen Umständen ertrug sie den Gedanken nicht, noch einmal mit ihm zu schlafen.
Sie erhob sich aus dem Wasser und ließ sich von den Frauen einölen und mit einem durchsichtigen Nachthemd ankleiden. Als man sie zu seinem Schlafabteil führte, zwang sie die Angst eisern nieder.
„Ich muss meinen Schmuck haben.“ Sie wandte sich an Amira, die Dienerin, die ein wenig Englisch sprach. „Wenn ich zu ihm gehe, muss ich den Familienschmuck tragen. Die Perlen gehörten meiner Mutter und davor meiner Großmutter, es ist Tradition, dass ich sie jetzt trage.“
Das Wort „Tradition“ schien zu wirken. Amira nickte und führte sie in ihr Schlafgemach.
„Und ich muss beten, bevor ich sie anlege.“ Natasha ließ sich auf die Knie nieder, und Amira zog sich diskret zurück.
Natasha wusste, ihr blieben nur wenige Minuten. Jetzt war sie froh, dass sie in die Wüste gebracht worden war. Denn hier waren die Wände nicht aus Stein, und das war ihre einzige Chance.
Rakhal wartete. Er überlegte, was er zu ihr sagen sollte, wie er es ihr am besten erklären konnte. Er wusste, sie hatte ihr Bad beendet, sie müsste längst hier sein. Aber auch für ihn war es eine außergewöhnliche Situation, und so legte er sich zurück und lauschte auf die Musik.
Der Vorhang wurde beiseite gezogen, doch anstelle von Natasha erschien eine aufgelöste Dienerin.
„Hoheit!“ Die Angst in ihrer Stimme ließ ihn aufspringen. „Sie ist weg! Sie hat darauf bestanden, ihren Schmuck aus ihrem Raum zu holen, um die Perlen für Euch zu tragen.“
Rakhal wusste sofort, dass sie den Schmuck als Vorwand genutzt hatte, um zu fliehen.
„Sie wollte beten … ich hätte sie nicht allein lassen sollen …“ Die Dienerin schluchzte auf. „Ich hätte nie gedacht, dass sie wegrennen würde.“
Nur eine Verrückte würde mitten in der Nacht in die Wüste rennen.
Oder jemand, der nicht wusste, wie gefährlich es war.
Rakhal wartete nicht darauf, dass man ihn anzog. Hastig warf er sich seine Robe über und schlüpfte in die Sandalen, während die Dienerinnen die Wachen alarmierten. Sobald man hörte, dass Natasha verschwunden war, liefen alle zu ihren Pferden und zu den Jeeps, doch Rakhal rief sie zurück. Er behielt einen kühlen Kopf, ordnete an, dass man Laternen holen und die Suche zu Fuß starten solle. Schließlich wollte er nicht, dass Natasha von einem Jeep überfahren oder von einem Pferd totgetrampelt wurde. Die Suche mit Autos und Pferden konnte erst bei Licht beginnen.
Doch bis dahin könnte es zu spät sein.
Niemand rannte bei Nacht in die Wüste, schon gar nicht in einem dünnen Nachthemd. Wusste sie denn nicht, wie kalt es dort draußen war? Die Skorpione warteten nur darauf, ihr in die bloßen Füße zu stechen. Und der Wind trieb den Sand vor sich her, schuf stets neue Landschaften. Ihre Hilferufe würden ihn nicht erreichen, sondern ungehört in den Schluchten verhallen.
Rakhal
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