Julia Extra Band 371
ein Mann das letzte Mal so aus ihrem inneren Gleichgewicht gebracht? Noch nie, musste sich Josie beschämt eingestehen. So etwas passiert normalerweise nur anderen Frauen, aber nicht mir, dachte sie. All diese widersprüchlichen Gefühle, die sie plötzlich hatte, machten ihr schwer zu schaffen.
„Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, fragte Dario und musterte sie ein wenig besorgt.
„Ja, es ist nur die ungewohnte Hitze, das ist alles“, antwortete sie schnell.
„Dann passen Sie gut auf sich auf“, sagte er in überraschend ernstem Ton. „Halten Sie sich möglichst im Schatten auf, und tragen Sie stets eine Kopfbedeckung. Nicht, dass Sie sich noch einen Sonnenstich holen. Damit ist nicht zu spaßen.“
Dario hob die Hand zum Abschied, dann ritt er davon. Fast ein wenig verträumt blickte Josie ihm hinterher. Erst die Stimme von Signor Costa riss sie aus ihren Gedanken. Josie brauchte keine Übersetzung für seine Worte, und sein wissendes Lächeln ließ sie erröten.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, rief sich Josie wieder in Erinnerung. Doch zum ersten Mal empfand sie diesen Satz als seltsam beunruhigend.
Irgendetwas an Dr. Josie Street zog Dario wie magisch an. Immer wieder dachte er an ihr schönes blasses Gesicht, ihre scheue und zurückhaltende Art und ihren so angespannt wirkenden Körper. Zudem kleidete sie sich, als fürchtete sie sich davor, aufzufallen oder gar als weiblich wahrgenommen zu werden. Und trotz alledem verstand Dario jetzt, was seiner Schwester an Josie so gefiel – es war ihr ganz eigener und besonderer Charme. Man konnte sie leicht aufziehen, und es ging etwas erfrischend Unschuldiges von ihr aus.
Vorhin beim Grenzwall hatte er sie schon von Weitem gesehen, so gestenreich hatte sie sich mit Giacomo unterhalten. Automatisch hatte er daher angenommen, dass sie einen Übersetzer brauchte. Doch als er näher herangeritten war, hatte er nur feststellen müssen, dass sie einfach nur sehr leidenschaftlich mit Giacomo über ihre Arbeit gesprochen hatte. Dario erinnerte sich noch genau an den Moment, als sie ihn erblickt hatte, denn sie war fast augenblicklich verstummt.
Warum redet sie mit anderen völlig unbefangen und bekommt in meiner Gegenwart kaum einen Satz heraus? fragte Dario sich verwundert.
Unwillkürlich fühlte er sich an Arietta erinnert, obwohl sie das genaue Gegenteil von Josie gewesen war: gesprächig in seinem Beisein, still in Gesellschaft. Mit aller Kraft versuchte er, nicht an seine verstorbene Verlobte zu denken. Doch das fiel ihm noch immer nicht leicht. Dabei war die Dauer ihrer Beziehung inzwischen kürzer als die lange Zeit, die er nun schon ohne sie lebte.
Ihr Verlust war noch immer schmerzhaft und zugleich eine Warnung.
Diese Nacht werde ich nicht zulassen, dass mich die Erinnerung an Arietta heimsucht, nahm sich Dario fest vor. Er war gerade dabei, sich für das Abendessen fertig zu machen. Während er die goldenen Manschettenknöpfe an seinem weißen Hemd befestigte, hörte er draußen Schritte auf dem Kies. Es war Josie, stellte er mit einem Blick aus dem Fenster fest. Dario schlenderte auf seinen Balkon.
„Wohin so eilig?“, rief er ihr zu. „Kann ich Sie vielleicht mitnehmen? Ich will sowieso gleich mit dem Auto los.“
Abrupt blieb sie stehen und blickte erschrocken zu ihm hoch. Klappernd fielen einige der unzähligen Teile ihrer Ausrüstung zu Boden, die sie hoch aufgestapelt in einer Kiste mit sich trug.
„Danke … aber ich möchte Ihnen keine Umstände machen.“ Sie stellte die Kiste ab und sammelte schnell Bürsten und Pinsel wieder ein. Den kleinen Spaten, für den sie keinen Platz mehr fand, steckte sie in die Tasche ihres praktischen Overalls.
„Das sind keine Umstände!“ Er ging zurück in seine Suite, warf sich eilig sein Jackett über und ging hinunter in den Hof. Doch Josie war schon nicht mehr da.
Als Dario kurz darauf mit dem Wagen zum großen Haupttor fuhr, hielt er auf dem Weg nach Josie Ausschau. Schließlich entdeckte er sie beim Grenzwall. Sie winkten einander kurz zu, bevor er den Wagen durch das Tor auf die Straße lenkte. Das ist ja schon mal ein Anfang, dachte Dario und fragte sich zugleich, wie sie bloß so schnell hierhergekommen war. Sie musste gerannt sein. Aber warum?
Das glamouröse Dinner war wie jedes andere auch, das Dario schon besucht hatte. Die Umgebung war mondän, das Essen vom Feinsten, und die Menschen um ihn herum waren alle reich und schön. Und wie gewöhnlich wurde Dario hohe Aufmerksamkeit
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