Julia Extra Band 372
bekommen. Die ganze Woche schon hatte er es wagen und ihr sein Herz öffnen wollen. Falls sie dennoch ging, hatte er ihr zumindest seine Gefühle offenbart. „Ich konnte dich nicht vergessen. Nie. Du darfst nicht gehen. Nicht heute, nicht morgen, niemals.“
„Wir können nicht …“
„Pst!“ Er lächelte sie an. „Als ich heute Morgen aufgewacht bin und deinen Artikel zum wer weiß wievielten Mal gelesen habe, wurde mir klar, dass es für Henry und mich dieses Jahr nur ein Geschenk geben kann: Ich werde die Firma verkaufen und wieder hierherziehen.“
Noch vor dem ersten Kaffee hatte J. C. den Besitzer der Firma angerufen, die von Carson Investments übernommen werden sollte, um ihm den umgekehrten Deal anzubieten. Die andere Firma sollte Carson Investments übernehmen. Sie hatten die groben Umrisse des Geschäfts besprochen, und ein verlockendes Angebot stand im Raum. Dazu gehörte die Garantie, dass niemand bei Carson Investments seinen Job verlor.
Grace sah ihn ungläubig an. „Du wirst was?“
„Wieder nach Beckett’s Run ziehen.“ Er nahm ihre Hände in seine. „Ich weiß, dass du gehen willst, Grace. Ich sehe es dir an, an deiner Haltung und deinem Gesichtsausdruck. Aber bitte überleg es dir noch einmal. Bleib bei mir und lass uns gemeinsam auf Reisen gehen, wie wir es damals vorhatten.“
„Wir wollten uns vom Wind treiben lassen.“
„Und jetzt hat uns der Wind beide zur selben Zeit hierher getrieben. Das ist kein Zufall. Wir bekommen eine zweite Chance, und es wäre unverzeihlich, wenn wir die nicht nutzen.“
Auf ihrer Stirn zeichneten sich Zweifel ab. „Was willst du sagen, J. C.?“
„Dass ich dich liebe. Dich immer geliebt habe. Ich möchte, dass du hierbleibst, Grace.“
Instinktiv war sie einen Schritt zurückgewichen. „Ich kann nicht. Bei meinem Beruf bin ich ständig unterwegs und …“
„Das ist nur eine Entschuldigung, und das weißt du. Du musst auf deinen Beruf nicht verzichten. Du kannst auch weiterhin nach Bali oder Mexiko oder sonstwohin fliegen. Und anschließend kehrst du zu mir nach Beckett’s Run zurück.“
„Aber wenn es nicht gut geht? Was, wenn wir Kinder haben und uns irgendwann trennen?“
„Sagst du das, weil du mich nicht liebst, oder nur aus Angst, wir könnten so wie unsere Eltern werden?“
Auf der Eisbahn glitten die Kufen der Schlittschuhläufer sanft übers Eis. Schneeflocken fielen glitzernd zu Boden.
„Ich bin genau wie meine Mutter, J. C.“, sagte Grace. „Ich bin eine Wanderin. Der Gedanke daran, sesshaft zu werden, macht mir Angst.“
„Warum hast du den Artikel über Henry geschrieben?“
Der plötzliche Themenwechsel überraschte sie. „Was meinst du?“
„Was ich gesagt habe: Warum hast du den Artikel geschrieben?“
„Weil es eine Geschichte ist, die die Leute im Innersten bewegen wird.“
„Ich habe deine anderen Artikel gelesen, und sie sind nicht im Entferntesten wie dieser Text. Sie sind gut, aber sie besitzen nicht dieselbe Tiefe. Warum also diese Geschichte? Warum genau jetzt?“
Jetzt verstand sie ihn. Sie strich sich über die Stirn, als zögere sie noch. Dann gab sie sich einen Ruck. „Vor einigen Jahren in Russland habe ich ein Mädchen gesehen. Es war mitten im Winter und furchtbar kalt. Sie stand ohne einen Mantel an einer Straßenecke und verkaufte Zeitungen, um ihrer Familie zu helfen. Ich bin mit ihr einen Mantel kaufen gegangen, und solange ich in Moskau war, habe ich ihr jeden Tag etwas zu essen vorbeigebracht. Ich konnte sie nicht vergessen und schrieb einen Text über sie, weil ich die Leute auf das Schicksal der russischen Kinder aufmerksam machen wollte. Ich habe den Text an meinen ehemaligen Collegeprofessor geschickt, einen Redakteur von Im Blickpunkt . Aber er hat den Text abgelehnt.“
„Warum? Du bist eine großartige Autorin.“
„Ich kann vielleicht wunderbar über das beste Hotel für die Flitterwochen oder irgendeinen Geheimtipp in Costa Rica schreiben, aber für wichtigere Themen bin ich nicht gut genug. Der Redakteur meinte, ich dürfte nicht so distanziert sein. Genau das habe ich bei dem Artikel über Henry versucht, und es fiel mir ganz leicht, weil Henry mir so viel bedeutet. Aber ob es mir gelungen ist, weiß ich nicht.“ Sie sah ihn an, und in ihren Augen schimmerten Tränen. „Ich kann nicht bleiben. Mein Herz wurde schon so oft gebrochen, dass ich es niemandem mehr wirklich öffnen kann.“
Wieder und wieder war sie sich als kleines Mädchen verlassen vorgekommen. Als
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