Julia Extra Band 372
das erste Mal, dass sie so etwas erlebte.
Ein Klopfen an der Tür. Grace kämpfte sich hoch, um so zu tun, als ob sie wirklich arbeitete. Doch sie stand noch nicht einmal, da trat schon ihre Großmutter ein.
„Geht es dir gut, Liebste?“
„Ja, klar. Ich habe nur so viel zu tun.“ Ihr Notebook war geschlossen und der Schreibtisch leer.
„So viel, dass du keine Zeit für deine Schwestern hast?“
„Doch. Später.“
Grandma setzte sich auf den Bettrand. „Ich weiß, dass es für dich immer am schwersten war. Hope war abgelenkt durch die Verantwortung, die sie für euch übernommen hat. An Faith als Mittlere von euch kam das ganze Durcheinander irgendwie nicht so ran. Aber dich, liebe Grace, das Küken, hat man manchmal ein bisschen vergessen.“
Grace spürte ein Brennen in den Augen. „Es war schon in Ordnung, wie es war.“
„Das war es nicht. Damit du nicht verletzt wirst, hast du Mauern um dich herum errichtet. Deine ständigen Reisen, die viele Arbeit, wegen der du nicht zu Familientreffen kommen konntest, deine kurzfristigen Absagen – das sind alles Mauern.“ Ihre Großmutter legte die Hände um Grace’ Gesicht. „Manchmal muss man sich einfach trauen, Grace, und den anderen zeigen, wie sehr man sie mag.“
„Ich … ich kann das nicht.“ Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Tränen aufzuhalten. Vergebens. „Ich verstehe Mom. Sie hatte Angst, darum ist sie nicht bei Dad geblieben – Angst davor, verletzt zu werden.“
Ihre Großmutter ließ die Worte auf sich wirken. Ihre hellen blauen Augen waren voller Zärtlichkeit und Verständnis. „Du hast wohl recht. Doch dieses Mal bin ich zuversichtlich, was deine Eltern anbelangt. Ich habe sie beobachtet, und sie wirken anders als früher. Erwachsener. Als wüssten sie jetzt, was ihnen wirklich wichtig ist.“
„Und als wüssten sie, wie viel Angst einem die Liebe machen kann?“ Ihr wurde klar, dass es das war, was ihr Herz in Aufregung versetzte und ihr den Atem nahm. Die Angst vor der Liebe. Der Liebe zu J. C.
„Genau“, sagte ihre Großmutter. „Dein Großvater musste vier Mal um meine Hand anhalten, ehe ich Ja gesagt habe.“
„Vier Mal? Davon hast du nie erzählt.“
„Ich hatte Angst, meine Freiheit zu verlieren. Ganz so wie du. Zum Glück war er stur, noch sturer als ich. Erst mit der Zeit habe ich herausgefunden, dass uns die Liebe eine größere Freiheit gibt als alles andere auf der Welt.“
„Wie das?“
Grace sah, wie ihre Großmutter von den Erinnerungen an ihren Mann und das gemeinsame Leben überschwemmt wurde. Selbst jetzt noch, Jahre nach seinem Tod, liebte sie ihn unverändert. „Die Liebe ist wie der Wind unter den Flügeln der Vögel. Man steigt immer höher und wagt immer mehr. Dein Großvater hat alle meine verrückten Ideen unterstützt. Übrigens hat das auch dein Vater bei deiner Mutter gemacht. Damit sie sich selbst finden konnte. Es hat zwar etwas gedauert, aber schließlich ist es ihr gelungen.“
Grace musste sich eingestehen, dass ihre Eltern glücklich gewirkt hatten in den vergangenen Tagen, glücklicher als je zuvor. Und auch ihre Schwestern wirkten so, als wären sie erst jetzt mit ihren künftigen Männern an der Seite ganz sie selbst. Würde sie dasselbe erleben?
Sie blickte zu ihrem Rucksack, der von all ihren Reisen abgenutzt aussah. Sie war einmal rund um die Welt gereist, um am Ende wieder an den Anfang zurückzukehren. J. C. hatte es ein Zeichen genannt. Ein Zeichen wofür?
„Mehr wollte ich dir eigentlich nicht sagen.“ Ihre Großmutter umarmte Grace. „Es ist Heiligabend, und nach dem Dinner gehen wir alle zum Wintervergnügen. Eine große, glückliche Familie. Genau das, was du dir immer vom Weihnachtsmann gewünscht hast, mein Schatz. Jetzt hast du es bekommen, also freu dich.“
Der Park war voller Menschen. J. C. sah sich um, ohne dass er entdeckte, wonach er suchte. Grace war vorhin einfach gegangen, und als er später versucht hatte, sie anzurufen, war er immer direkt zu ihrer Mailbox umgeleitet worden. Ob sie schon in einem Flugzeug saß, das sie von all dem hier fortbrachte? Oder wollte sie nicht mit ihm reden?
Seine Mutter kam Hand in Hand mit Henry auf ihn zu. Als Henry ihn sah, ließ er seine Grandma los und rannte auf ihn zu. J. C. ging in die Knie und hielt die Arme auf. Henry sprang hinein, und sein Onkel wirbelte ihn im Kreis herum, beide strahlten glücklich.
„Onkel Jace“, sagte Henry aufgeregt. „Wir haben den Weihnachtsmann getroffen. Und er hat mir
Weitere Kostenlose Bücher