Julia Extra Band 372
Nachbarschaft war der „Typ im Penthouse“ – wie Jared bei den anderen Hausbewohnern hieß – Anwalt für mehrere Popstars, für eine Plattenfirma und diverse berühmte Filmschauspieler. Daher zweifelte sie nicht daran, dass seine Klienten ebenfalls solche Luxuskarossen fuhren und der Wagen für ihn nichts Besonderes war.
Ihre Bemerkung schien ihm unangenehm zu sein, denn seine Kieferpartie verhärtete sich. „Es gab Zeiten, wo auch ich knapp bei Kasse war.“
Sie hatte keine Ahnung, warum er gekränkt sein sollte, wenn jemand den Eindruck gewann, er sei wohlhabend. Aber da sie ihn nie mehr wiedersehen würde, war ihr das egal. Er war so, wie er war. Reich. Sie war so, wie sie war – eine alleinerziehende junge Mutter, die jeden Cent zweimal umdrehen musste. Vor sechs Jahren, nach dem Tod ihrer Mutter, war sie mit ihrem Freund Patrick aus North Carolina weggezogen. Sie hatten beide hochfliegende Träume gehabt, aber schließlich hatte sie das Geld für sie beide verdienen müssen. Und als sie schwanger geworden war, hatte er sie mit fliegenden Fahnen verlassen. Zwischen ihr und Jared Johnson lagen Welten, daher hatte es keinen Sinn, belanglosen Small Talk zu führen.
Sie machte es sich auf ihrem Sitz bequem und schloss die Augen, denn sie musste über vieles nachdenken. Sie kehrte nach North Carolina zurück, aber nicht in den kleinen Ort, in dem sie aufgewachsen war. Kürzlich hatte sie das Farmhaus ihrer Großmutter in einem Nachbarort geerbt, der gleichzeitig die Heimatstadt ihres Vaters war – jenes Kerls, der ihre Mom verlassen hatte. Sie kannte ihn noch nicht einmal. Auch wusste sie nicht, was für Leute in Four Corners, North Carolina, lebten. Würden die Leute dort sie mit offenen Armen empfangen oder wie eine Fremde behandeln? Sie wusste nur, dass die Großmutter, die sie nie kennengelernt hatte, ihr ein Farmhaus mit Land vermacht hatte. Ein Haus, das sie verkaufen konnte, hoffentlich für eine Summe, mit der sie ein Zuhause für sich und ihr Baby erwerben könnte.
Dieselbe Großmutter, die sie nicht einmal hatte kennenlernen wollen, die sie nicht als Enkelin anerkannt hatte, verschaffte ihr nun eine Lebensgrundlage.
Und sie wäre dumm, das nicht anzunehmen.
Auf einmal war es in dem SUV so still, dass Jared seinen eigenen Atem hörte. Das war nicht gut. Elise war praktisch eine Fremde, und jetzt waren sie mindestens zwanzig Minuten ohne Gesprächsthema in diesem Auto gefangen. Er konzentrierte sich auf die Straße und warf immer wieder einen Blick in die Schaufenster entlang der Straße. Dann sah er den Weihnachtsbaum vor Megs Antiquitätengeschäft und holte tief Luft.
Hör auf, darüber nachzugrübeln! Das ist alles schon so lange her, ermahnte er sich.
Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum und versuchte, seine Erinnerungen zu verdrängen. Er musste sich wieder in den Griff bekommen, bevor sein Flugzeug in New York landete. Gelang ihm das nicht, würde ihn dort der Schmerz überwältigen, in jener Stadt, wo ihn alles an das perfekte Leben, das er verloren hatte, erinnerte. Aber er konnte seine Reise jetzt nicht mehr absagen. Nach fünf Jahren mit Ausreden, warum er nicht nach Hause kommen könnte, hatten seine Eltern damit gedroht, mit ihrem Freund, dem Psychodoktor, nach Kalifornien zu reisen, wenn er sie in diesem Jahr nicht besuchte. Sie fanden es nicht mehr normal, dass er so lange nicht nach Hause gekommen war, und er musste ihnen beweisen, dass mit ihm alles in Ordnung war. Obwohl er davon nicht zu hundert Prozent überzeugt war.
Er schob den letzten Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die anstehenden Vertragsverhandlungen für einen seiner Mandanten. Und die restliche Fahrt zum Busbahnhof verlief schweigend. Er hielt am Eingang, und Elise stieg eilig aus. Er holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum. „Ich nehme den Koffer und Sie das Baby.“
„Schon gut, ich schaffe beides.“
„Das weiß ich, aber ich habe noch so viel Zeit und möchte Sie begleiten.“
Sie verdrehte die Augen, ließ ihn aber machen.
Warum wollte sie nicht, dass er sie in den Busbahnhof begleitete? Das war lächerlich. Sie konnte all ihr Gepäck gar nicht tragen und sich dann auch noch um die Fahrkarte kümmern. Im Bahnhof drinnen überraschte er sie daher mit dem Angebot: „Ich nehme so lange das Baby.“
„Es geht schon.“
„Da bin ich sicher, aber ich halte die Kleine gerne, während Sie die Fahrkarte kaufen.“
„Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, weil Sie mich vorhin
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