Julia Extra Band 373
Wochenlang hatte Marietta es auf der Kleiderpuppe hängen gesehen und Penelope beneidet. Mehr als einmal war sie versucht gewesen, es anzuprobieren, hatten sie und Penelope doch die gleiche Kleidergröße. Aber das wäre falsch gewesen, ganz gleich, welche romantischen Sehnsüchte es in Marietta weckte.
Weit davon entfernt, ihr Leben in ein Märchen zu verwandeln, hatte dieses eine Kleid für ihr Geschäft jedoch Wunder bewirkt. Ihre Träume hatten sich verwirklicht. Das Problem war nur … sie hatte keine Zeit mehr, es auch zu genießen.
Ihr blieb nur noch eine Viertelstunde, bis der Flieger abhob. Verdammt! Sie begann zu rennen, soweit das in der Menschenmenge möglich war. Der Kleidersack schlug ihr bei jedem Schritt gegen die Waden. Nur knapp wich sie einem älteren Mann aus, der seine Frau im Rollstuhl vor sich herschob, drückte sich vorbei an einem Mann, der die Weihnachtsdekoration eines Fastfood-Restaurants fotografierte – der Grund war ihr schleierhaft –, und einem Hausmeister, der verschütteten Kaffee aufmoppte und dabei Weihnachtslieder summte.
Und endlich erspähte sie die Hinweisschilder für Gate 29, Gate 30, Gate …
Reed Hartstone.
Es dauerte eine Sekunde, bevor sie in dem ganzen Trubel klar sehen konnte. Wie in einem Suchbild: „Was passt hier nicht?“
Ein Vater, der seinen kleinen Sohn ermahnte, nicht zu weit vorauszurennen. Eine hochschwangere Frau, die sich erschöpft auf einem Stuhl niederließ. Ein Koffer, der aufsprang und aus dem sich Unmengen von Dessous ergossen …
Und noch immer Reed Hartstone.
Hier? Ausgerechnet jetzt? Wieso?
Da Marietta auf ihn achtete und nicht mehr darauf, wo sie hintrat, stolperte sie über eine Reisetasche auf dem Boden und knickte um. Sie fing sich gerade noch, aber ein scharfer Schmerz schoss durch ihren Knöchel. Mit leicht verzerrtem Gesicht fragte sie sich still, ob sie jetzt schon Halluzinationen hatte. „Reed?“
„Marietta?“
In Sekundenbruchteilen registrierte sie alles an ihm: knapp einen Meter neunzig, kurzes braunes Haar, dunkelblaue Augen, so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten, schmale Hüften, breite Schultern, die Art Schultern, an die eine Frau sich anlehnen konnte, wenn es nötig war, und die sie, einmal gesehen und gespürt, nie wieder vergaß. Ihr Magen zog sich zusammen – verdammt, sie reagierte noch immer auf ihn, selbst nach all den Jahren. Und sie ermahnte sich, dass es gute Gründe gab, weshalb sie nicht mehr zusammen waren. „Was tust du hier?“
Ein Grinsen, das ihr so vertraut war wie der eigene Herzschlag, breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Das Gleiche könnte ich dich fragen. Lass mich raten. Du gondelst noch immer durch die Weltgeschichte, auf der Suche nach Glück und Reichtum …“ Sein Blick erfasste den Kleidersack über ihrer Schulter, die weiße Seide, die aus den letzten Zentimetern des offen stehenden Reißverschlusses klaffte, und er zählte zwei und zwei zusammen. „… oder du bist auf dem Weg zu deiner Hochzeit.“
Eine irrige Annahme, die Marietta mit zwei knappen Sätzen korrigieren könnte. Doch sobald Reed herausfände, dass sie noch immer Single war, würde er sie zu einer Tasse Kaffee einladen, der alten Zeiten wegen. Und bevor sie sich recht versah, würden sie besagte alte Zeiten wieder aufleben lassen und da weitermachen, wo sie aufgehört hatten.
Das hatten sie immer so gemacht. Und jedes Mal war es ein Fehler gewesen.
Ein Kratzen kam durch die Lautsprecher. „Verehrte Fluggäste. Aufgrund der Wetterlage verschieben sich die Abflugzeiten bis auf Weiteres. Beachten Sie bitte die Durchsagen. Wir informieren Sie sobald wie möglich über die neuen Abflugzeiten. Bitte entschuldigen Sie die dadurch entstehenden Unannehmlichkeiten.“
Ein kollektives Stöhnen brandete in der Halle auf.
Na großartig. Genau das, was Marietta jetzt nicht gebrauchen konnte. Eine Verspätung. Dann würde sie sich mit einer völlig aufgelösten Schauspielerin auf Beruhigungspillen auseinandersetzen müssen!
„Und? Stimmt es? Heiratest du?“, fragte Reed.
Genau in diesem Moment klingelte ihr Handy wieder. Schlechtes Timing oder glücklicher Zufall? Marietta war auf jeden Fall froh über die Unterbrechung.
„Der Caterer hat gerade angerufen. Die Perlhühner sind nicht angekommen. Sie müssen wohl aus dem Stall geflattert sein. Wenn das mit dem Stress so weitergeht, mache ich es ihnen nach. Gott, es ist die Hölle.“ Penelope musste Luft holen. „Wie auch immer … Paul muss jetzt simple
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