Julia Extra Band 373
Hähnchen servieren. Für zweitausend Gäste! Man wird denken, dass ich geizig bin, Marietta. Oder schlimmer … pleite! Bankrott! Abgebrannt! Hier geht doch alles um den Schein, und der muss unbedingt gewahrt werden! Wenn jetzt noch etwas mit dieser Hochzeit schiefgeht … Bitte, sagen Sie mir, dass Sie bald hier sind. Ich bin sicher, sobald ich mein Kleid sehe, geht es mir viel besser.“
„Ich … äh … wegen eines Schneesturms kann meine Maschine noch nicht starten. Es ist also möglich, dass ich etwas später komme …“
„Später?“ Penelopes Stimme erreichte eine Frequenz, die nur Hunde hören konnten. „Oh, das ist nicht gut! Alles läuft schief! Ich habe das Gefühl, dass der Zug jeden Moment entgleist. In meiner ganzen Karriere habe ich mich immer auf mein Gefühl verlassen können. Ich hatte es immer im Gespür, wann ich ein Filmangebot ablehnen musste, habe im Voraus geahnt, dass es ein Flop werden würde. Ich hätte dieser Sache nie zustimmen sollen.“
„Sie meinen, die Hochzeit vorzuverlegen?“
Für einen Augenblick blieb es still. „Ja, genau das“, antwortete Penelope dann.
„Keine Sorge, bis morgen zur Hochzeit ist noch viel Zeit.“
„Ich weiß nicht … Meine Wahrsagerin meint, das Kleid symbolisiert die Zukunft. Und wenn das Kleid in Chicago feststeckt … was heißt das dann für meine Zukunft?“ Penelopes Stimme drohte zu brechen. „Ich muss Schluss machen. Ich rufe besser meinen Therapeuten an. Ich melde mich später.“
Mit einem Seufzer ließ Marietta das Handy wieder in ihre Tasche gleiten und drehte sich zu Reed um. Zwei Probleme auf einmal. Dabei war gerade alles so gut gelaufen …
„Du kommst zu spät zur eigenen Hochzeit?“
„Bei dem Wetter kommen viele Leute zu spät.“ Sie überging die Frage. „Was ist es bei dir?“
„Ich komme zu spät zu einem Meeting.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Viel zu spät. Mein Flug ist schon zweimal verschoben worden.“
Marietta war mehr als erstaunt. Der Reed, an den sie sich erinnerte, hatte weder mit Meetings noch Geschäftsessen zu tun gehabt, nichts, was auch nur im Entferntesten an die Welt der Großkonzerne erinnerte. Im Innern war er immer der Kleinstadtmensch geblieben, der das rustikale Leben auf dem Land vorzog. Sie war es, die darauf versessen gewesen war, in den Jetset aufgenommen zu werden. Sie war bereit gewesen, alles zu tun, um Whistle Creek hinter sich zu lassen. Für sie war das Städtchen nie ein wirkliches Zuhause gewesen. „Ein Meeting? Wirklich? Wo?“
„In Boston. Ich bin Investmentberater.“
„Du mit Anzug und Krawatte?“ Erst jetzt fiel ihr sein elegant-lässiger Aufzug auf, der perfekt sitzende Wollmantel, die schicken Lederschuhe. Sehr beeindruckend und der komplette Gegensatz zu dem Mann in Jeans und T-Shirt, an den sie sich erinnerte.
Warum verspürte sie dann so etwas wie Enttäuschung?
„Man könnte wohl sagen, ich bin erwachsen geworden.“ Ein Hauch von Verbitterung schwang in seiner Stimme mit. „Hab jetzt einen richtigen Job.“
Das saß. Diese Worte hatte sie ihm vor Jahren entgegengeschleudert – zusammen mit dem Verlobungsring. Sie war davon ausgegangen, dass sie Reed nie wiedersehen würde.
„Nie“ dauerte also gerade mal sieben Jahre. „Ich freue mich für dich. Wirklich.“ Sie zog den Kleidersack höher auf die Schulter, sah sich nach einem Sitzplatz um. Die Halle war voll von Menschen, viele hatten sich bereits auf längere Wartezeiten eingestellt und nutzten ihre Koffer als Sitzplatz oder hatten ihre Reisetaschen als Kissen gegen die Wand gestellt. Nirgendwo war ein freier Sitz zu finden.
Ein junges Pärchen tauschte bereits Weihnachtsgeschenke aus, die beiden nahmen das Ganze wohl eher locker. Seltsam, aber Marietta konnte die beiden glücklich lachenden jungen Leute nicht ansehen.
Draußen vor den Glasscheiben fiel unablässig der Schnee. Sie seufzte. Es sah nicht danach aus, als würde sie vor heute Abend noch nach L. A. kommen. In ihrem Knöchel pochte es dumpf, und sie wollte doch nichts anderes, als das Brautkleid abliefern und wieder zurück nach …
Zurück zu was?
„Hier, lass mich das nehmen.“ Reed griff nach dem Kleidersack, bevor sie protestieren konnte. „Das muss ja eine Tonne wiegen.“
„Es geht schon, wirklich …“
„Du hast dir den Knöchel verstaucht, ich sehe dir doch an, dass es wehtut. In deinem Gesicht kann man noch immer lesen wie in einem offenen Buch.“ Er legte sich den Kleidersack über den Arm. „Wie wär’s
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