Julia Extra Band 373
mein eigenes Geschäft aufziehen, und Stefanos Ziakas weiß mehr darüber, wie man das anfängt, als jeder andere. Er hat sich alles ganz allein aufgebaut. Keiner hat ihm geholfen, als er in jungen Jahren seine Eltern verlor. Mit dreißig war er schon Milliardär, und er hat es ganz allein geschafft.“
Besorgt setzte sich ihre Mutter auf. „Glaubst du wirklich, du kannst einfach so bei einem Mann wie Stefanos Ziakas auftauchen und ihn um Geld bitten? Er lässt sich genauso von Sicherheitsleuten abschirmen wie dein Vater. Es wird so gut wie unmöglich sein, einen Termin bei ihm zu bekommen, vor allem so kurzfristig. Selbst wenn du es also schaffst, unbemerkt von der Insel wegzukommen, solange dein Vater fort ist, wird Ziakas dich gar nicht empfangen.“
„Er wird mich empfangen, und ich habe einen Weg gefunden, von der Insel wegzukommen.“ Doch Selene hielt es für klüger, ihrer Mutter nicht zu viel zu verraten, und stand entschlossen auf. „Morgen bin ich vielleicht schon wieder zurück, was uns genug Zeit gibt, weit weg zu sein, bevor er von seinem ‚Ausflug‘ zurückkehrt.“ Mit „Ausflug“ umschrieben sie und ihre Mutter die regelmäßige Abwesenheit ihres Vaters von der Insel, wobei es Selene immer wieder empörte, dass er sich keine große Mühe gab, seine Seitensprünge zu verheimlichen … und ihre Mutter sie anscheinend als Teil ihrer Ehe akzeptiert hatte.
Selene wollte nicht darüber nachdenken, was sie tun würde, sollte ihre Mutter sich … wieder einmal … weigern, die Insel zu verlassen. Sie wusste nur, dass sie keinen weiteren Tag auf Antaxos verbringen wollte, wo sie ihr gesamtes bisheriges Leben umgeben von schroffen Felsen gefangen gewesen war und sich nach einem anderen Leben gesehnt hatte. Sie konnte es nicht länger ertragen, die heile Fassade ihrer „Familie“ aufrechtzuerhalten. Und die Ereignisse der vergangenen Woche hatten sie noch mehr darin bestärkt.
Sie beugte sich hinunter und küsste ihre Mutter auf die Wange. „Träum davon, was du am ersten Tag deines neuen Lebens tun wirst. Du wirst wieder frei lachen können. Du wirst wieder malen, und die Leute werden deine Bilder kaufen wie früher.“
„Ach, ich habe seit Jahren nicht mehr gemalt. Der Antrieb ist mir abhanden gekommen.“
„Weil er nichts zulassen wollte, was dich von ihm getrennt hätte. Aber du wirst dein Leben zurückbekommen, ich verspreche es.“
„Und was, wenn dein Vater früher von Kreta zurückkommt und feststellt, dass du fort bist?“
Allein bei dem Gedanken tat sich vor ihr ein Abgrund auf. Doch Selene wollte sich nicht bange machen lassen. „Er wird nicht früher zurückkommen. Warum sollte er?“
Gelangweilt räkelte Stefan sich in seinem Sessel, die Füße auf der polierten Platte des Schreibtisches. Weit unterhalb, zu Füßen des Glasturms, der den Firmensitz seines Konzerns beherbergte, erwachte Athen ganz allmählich zum Leben. Eine Stadt voller Probleme, die versuchte, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, während sie von aller Welt beobachtet wurde. Von allen Seiten wurde er bedrängt, seinen Hauptsitz doch in eine andere Stadt zu verlegen: New York. London. Irgendwohin, nur weg von der so schwer gebeutelten griechischen Hauptstadt.
Doch Stefan ignorierte diese Ratschläge. Er hatte nicht die Absicht, den Ort zu verlassen, an dem er das hatte werden können, was er war. Zu gut wusste er, was es bedeutete, alles zu haben und alles zu verlieren. Aus großem Wohlstand in bittere Armut abzustürzen. Er hatte am eigenen Leib Angst und Unsicherheit erlebt und welche Anstrengung nötig war, um sich vom Rande des Abgrundes zurückzuzerren. Ein Sieg war unter solchen Umständen noch befriedigender, und er hatte auf ganzer Front gesiegt. Längst besaß er mehr Geld und Macht, als sich manch einer vorstellen konnte.
Wahrscheinlich hätte es die meisten Leute überrascht, wie wenig ihm Geld bedeutete. Macht war etwas anderes. Stefan hatte schon früh gelernt, dass Macht alles war. Macht öffnete Türen, die sonst verschlossen blieben.
Das Telefon läutete schon mindestens zum zehnten Mal auf seinem Privatanschluss, was er aber ignorierte.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn kurz darauf aus seinen Gedanken. Maria, seine persönliche Assistentin schaute herein.
Verärgert über die Störung, sah Stefan sie missbilligend an.
„Ersparen Sie mir diesen Blick“, sagte sie ungerührt. „Ich weiß, dass Sie nicht gestört werden wollten, aber Sie gehen nicht an Ihren Privatanschluss.“
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