Julia Extra Band 375
passiert. Das dumme Tier ist mir vors Auto gerannt.“
Liz hätte gern überrascht reagiert, doch Wildunfälle waren auf diesen Straßen keine Seltenheit. Charles hatte Glück gehabt, so glimpflich davongekommen zu sein. „Geht es Ihnen gut?“
„Er hat sich den Kopf gestoßen, doch er lehnt jede ärztliche Behandlung ab“, antwortete der Polizist.
„Ich bin auf den Airbag geprallt“, korrigierte ihn Charles scharf. „Es ist alles in Ordnung.“ Dennoch sah Liz, dass seine Hand ein wenig zitterte, als er sich durch die Locken fuhr.
Inzwischen fiel der Schnee immer dichter, und die Schultern von Charles’ schwarzem Mantel waren von Flocken bedeckt. Wenn er sich nicht gerade durchs Haar fuhr, hatte er die Hände tief in die Taschen vergraben. Zu ihrer eigenen Überraschung empfand Liz tatsächlich Mitleid mit ihm. „Soll ich Sie irgendwohin mitnehmen?“
Charles schien über dieses Angebot genauso erstaunt zu sein wie sie selbst. Er wandte sich dem Polizisten zu. „Brauchen Sie noch irgendetwas von mir?“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Sie können sich morgen eine Kopie des Berichts für Ihre Versicherung holen.“
Als Charles seine Sachen zusammengepackt hatte und auf den Beifahrersitz gesunken war, kamen ihr Zweifel, ob es eine so gute Idee gewesen war, ihn mitzunehmen. Eigentlich hielt sie ihren Geländewagen, den sie ausgewählt hatte, um sich selbst, Andrew und große Mengen Eishockey-Ausrüstung zu transportieren, für sehr komfortabel. Doch mit Charles als Beifahrer schien das Auto bis an seine Obergrenze gefüllt zu sein. Für jemanden, der in der Kälte gestanden hatte, strahlte er ziemlich viel Körperwärme ab. Ein feiner Zitrusduft mit einer würzigen Note hing in der Luft. Sie veränderte ihre Position im Sitz und fragte sich, ob Charles dasselbe Unbehagen spürte, denn sein Körper und die Stimme wirkten angespannt, als er sich knapp bedankte.
„Gern gescheh… Oh mein Gott, Ihre Wange!“ Im Licht der Deckenlampe konnte sie eine längliche Wunde auf seiner Wange erkennen. „Sie haben sich wirklich verletzt“, sagte sie und tastete unwillkürlich die Stelle ab, wobei sie mit den Fingerspitzen über seine Bartstoppeln fuhr. „Vielleicht sollte sich das besser ein Arzt ansehen.“
„Es ist alles in bester Ordnung.“ Er legte den Kopf zur Seite, und Liz wurde plötzlich klar, was sie gerade tat. „Entschuldigen Sie“, antwortete sie und zog die Hand zurück. „Mutterinstinkt. Ich bin ständig damit beschäftigt, die Verletzungen meines Sohnes zu verarzten.“
Oh verdammt, Andrew! Schnell griff sie nach ihrer Handtasche.
„Was tun Sie da?“
„Ich schreibe meinem Sohn eine Nachricht.“
„Sie haben Kinder?“
Er klang überrascht. „Einen Sohn. Er ist schon fast … Ich schreibe ihm, dass ich mich etwas verspäte.“
„Sehr umsichtig von Ihnen.“
Schon wieder klang seine Stimme so abwesend, als würde er nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte. „Ich möchte nicht, dass er sich Sorgen macht“, erwiderte sie und schickte die Nachricht ab. Andererseits wusste Andrew jetzt, dass er noch mehr Zeit hatte …
Doch Andrew ist nicht wie ich. Und Victoria ist nicht Bill. Das darf ich nicht vergessen.
Sie musste einen sehr ernsten Gesichtsausdruck gehabt haben. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Charles.
„Der Empfang ist schlecht.“ Man sollte eben nicht den billigsten Anbieter wählen. „Ist schon okay. Sicher hat er im Radio von dem Stau gehört. Er kommt schon klar.“ Er und Victoria.
„Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber erwarten Sie wirklich, dass ich Ihnen das abnehme?“
„Nichts für ungut“, gab sie ebenso trocken zurück. „Ich habe alles im Griff.“
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Abschleppwagen in die Straße einbog. Sie schaltete den Blinker ein und folgte dem Wagen. „Greengus-Street Nummer zweiunddreißig, richtig?“ Von Firmenveranstaltungen her erinnerte sie sich noch an Rons alte Adresse.
„Nein. Ich wohne im Admiral Mill Komplex.“
Liz kannte die Anlage. Es war die alte Textilfabrik, die im vergangenen Jahr instand gesetzt und zu Wohnungen umgebaut worden war. Dennoch hatte sie erwartet, dass er im Haus seines Vaters wohnen würde.
„Ich lasse das Haus gerade renovieren, um es danach zu verkaufen“, antwortete er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Und ich ziehe es vor, in einem eigenen Appartement zu wohnen.“
Die nächste Meile fuhren sie, ohne etwas zu sagen. Liz versuchte sich auf den Schnee und den
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