Julia Extra Band 375
plötzlich nicht mehr so wichtig. Weil sie das Geld, das sie verdiente, brauchte, egal ob mit oder ohne Kind.
Deshalb hatte sie jeden Auftrag angenommen, den sie ergattern konnte. Außerdem war es viel einfacher gewesen zu arbeiten, als sich eine Zukunft vorzustellen, die sie so nie geplant hatte. Aber als sie jetzt Dantes Blick begegnete, wurde ihr klar, dass man ihr Verhalten auch leicht als Egoismus oder sogar Verantwortungslosigkeit auslegen konnte. Und hatte er ihr das nicht schon früher vorgeworfen? Dass sie eine dieser Egozentrikerinnen war, die nur um sich selbst kreisten?
„Ich habe es auf die lange Bank geschoben“, räumte sie kleinlaut ein. „Vielleicht konnte ich mir ja einfach nicht vorstellen, dass das wirklich passiert. Obwohl …“ Sie unterbrach sich und fuhr dann hilflos fort: „Es kommt mir immer noch so unwirklich vor, wie ein Traum oder so … ich weiß auch nicht.“
Sie wartete leicht beklommen auf den nächsten Kontrollfreak-Anfall seinerseits, doch zu ihrer Überraschung passierte nichts. Da war nur dieser leicht verzweifelte Ausdruck in seinen Augen, was seltsamerweise viel schlimmer war. Obwohl er direkt vor ihr stand und sein kraftvoller Körper alles Licht in ihrem normalerweise hellen Apartment zu schlucken schien, wirkte er unendlich weit weg. Gleichzeitig ging etwas fast unheimlich Zwingendes von ihm aus, das es ihr unmöglich machte, den Blick abzuwenden.
„Wie entspannst du dich?“, fragte er plötzlich.
Die Frage kam so unerwartet, dass Justina keine Zeit blieb, sich irgendeine überzeugende Antwort auszudenken, deshalb zuckte sie nur die Schultern. „Ich fürchte, mit Entspannung ist es bei mir nicht so weit her.“
„Das sieht man, du wirkst erschöpft“, stellte er leise fest. „Und warum denkst du dann nicht ausnahmsweise mal an das Kind, statt immer nur deine Karriere? Du musst nicht die Nummer eins in der Musikindustrie werden, hast du das immer noch nicht kapiert? Ich schlage vor, du nimmst jetzt zur Entspannung erst mal ein Bad, das machen doch alle Frauen, oder?“
„Ich schätze, das weißt du besser als ich, Dante“, konterte sie bissig. Sie wollte noch hinzufügen, dass sie selbst wusste, was ihr guttat oder nicht, aber sein Smartphone summte, und er nahm den Anruf entgegen. Dabei hob er unverschämterweise auch noch mahnend den Zeigefinger, um ihr zu bedeuten, dass sie still sein sollte.
Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass er sich zum Teufel scheren und seine Anrufe woanders entgegennehmen sollte, doch dafür war es zu spät. Aber sie wollte auch nicht einfach so stehen bleiben und demütig abwarten, bis er sein Telefonat beendet hatte. Deshalb stürmte sie ins Bad und verriegelte hinter sich die Tür. Sie ließ Wasser in die Badewanne und kippte viel zu viel Limonen-Mandarinen-Badezusatz hinein, bevor sie die Musikanlage aufdrehte und sich auszog, um in die bereits mit Schaumbergen gefüllte Wanne zu steigen.
Bei ihrem Einzug hatte sie ein raffiniertes Soundsystem installieren lassen, das die ganze Wohnung beschallte. Normalerweise drückte sie die Shuffle-Taste, so dass sie nie wusste, was als Nächstes kam. Aber heute wählte sie gezielt Metamorphosis aus, das zu den erfolgreichsten Alben der Lollipops gehörte. Ein Erfolg, für den sie einen hohen Preis bezahlt hatte.
Die Songtexte stammten alle aus ihrer Feder. Sie hatte sie geschrieben, nachdem ihre Beziehung mit Dante in die Brüche gegangen war. Sie hatte das Album seit Jahren nicht gehört, weil sie es nicht ertragen konnte, sich an diese dunkle Zeit zu erinnern, aber jetzt erschien es ihr plötzlich überlebenswichtig. Sie musste an die finsteren Orte von früher zurückkehren, musste sich ihren Kummer und ihre Verzweiflung in Erinnerung rufen. Sie musste sich vergegenwärtigen, dass dieser gelegentliche Stich von Einsamkeit, den sie heute manchmal verspürte, gar nichts war gegen den unerträglichen Schmerz von damals.
Eingehüllt von den melancholischen Klängen, ließ sie sich in das warme Wasser zurücksinken und schaute auf ihren nass glänzenden Bauch, der zwischen den weißen Schaumkronen aufragte. Der Musik zuzuhören tat so weh, noch viel mehr als erwartet. Besonders ein Song zerriss ihr fast das Herz. Er war damals in den Charts wie eine Rakete nach oben geschossen. Man hatte ihn sogar für den Soundtrack einer romantischen Komödie verwenden wollen, aber sie hatte abgelehnt. Obwohl ihr Agent an die Decke gegangen war, aber die Vorstellung, ausgerechnet diesen Song, der
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