Julia Extra Band 376
Handy, das auf dem Tisch lag, begann zu klingeln. Es war Gabriel. Zum Glück konnte er sie nicht sehen, sonst wäre ihm sicherlich ihre schuldbewusste Miene aufgefallen.
„George hat mich angerufen.“ Gabriel klang besorgt. „Mia sei krank.“
„Ja, sie ist mit Fieber aufgewacht.“
„War der Arzt da?“
„Er ist gleich gekommen. Es ist eine Entzündung im Ohr. Er hat ihr Antibiotika verschrieben.“
„Kann ich etwas tun? Soll ich kommen? Ich könnte gleich morgen früh einen Flug nehmen.“
Sie bräuchte nur Ja zu sagen, und diese ganze verrückte Geschichte mit Marcus wäre endlich zu Ende. Ein einfaches Ja. „Bis du hier bist, ist sie wahrscheinlich schon wieder gesund. Sie hat kaum noch Fieber.“
„Bist du dir sicher?“
„Trina braucht dich mehr als ich. Außerdem steht Marcus mir bei.“ Sie warf ihm einen Blick zu. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich.
„Ruf mich an, wenn du etwas brauchst. Tag und Nacht“, sagte Gabriel.
„Das werde ich.“
„Dann lege ich jetzt auf. Du musst dich um die Kleine kümmern. Ich melde mich morgen wieder.“
„Schön.“
„Gute Nacht, Vanessa. Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch“, sagte sie, und so war es auch. Sie liebte ihn wie einen Freund. Warum fühlte es sich dennoch wie eine Lüge an? Und warum fühlte sie sich unwohl dabei, diese Worte vor Marcus auszusprechen?
Als wenn sie es nicht wüsste.
Sie legte das Telefon beiseite. „Dein Vater“, sagte sie, als wenn Marcus es nicht wüsste.
„Hat er angeboten, nach Hause zu kommen?“
Sie nickte.
„Und du hast abgelehnt?“
Sie nickte erneut.
Er kam auf sie zu. „Warum? Ist es nicht genau das, was du wolltest?“
„Ja, aber … ich glaube …“ Die Wahrheit war, dass sie Angst hatte. Angst davor, Gabriel könnte nach Hause kommen und mit einem Blick erfassen, was sie für Marcus empfand. Gabriel vertraute ihr, er liebte sie, und sie hinterging ihn. Jedes Mal wieder, wenn sie sich Gedanken hingab, die sie nicht haben dürfte. „Bevor er zurückkommt, brauchen wir vielleicht noch etwas Zeit, um uns über das hier klar zu werden.“
„Über was?“
„Das hier. Uns.“
„Ich dachte, es gäbe kein uns , und wir würden so tun, als wäre nie etwas geschehen.“
„Das werden wir auch. Ich brauche nur noch ein bisschen Zeit zum Nachdenken.“
Er trat näher zu ihr. Aus seinen dunklen Augen sah er sie ernst an. Ihr Magen spielte verrückt, und ihr Herz schlug schneller.
„Bitte sieh mich nicht so an.“
„Wie?“
„Als würdest du mich küssen wollen.“
„Aber genau das will ich.“
Oje! Ihre Knie wurden weich. „Du weißt, wie unvernünftig das wäre.“
„Das wäre es wohl.“
„Dann solltest du es besser sein lassen.“
„Sag einfach Nein.“
Wollte er etwa ihr die Verantwortung zuschieben?
„Hast du nicht zugehört, was ich die letzten Tage gesagt habe?“
„Doch, sehr genau.“
„Dann solltest du wissen, dass du mir nicht die Verantwortung überlassen solltest. Nicht bei meinem Hang zu falschen Entscheidungen.“
Als er lächelte, lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. „In diesem Moment hoffe ich genau darauf.“
Vanessa streckte die Hand aus und berührte Marcus’ Wange. Sein Grübchen. Das hatte sie schon tun wollen, seit sie ihn das erste Mal hatte lächeln sehen.
Es war komplett verrückt, wozu sie sich gerade hinreißen ließen. Vanessa wusste, es würde dieses Mal nicht bei einem Kuss bleiben. Aber wie Marcus da vor ihr stand und sie verlangend anschaute, konnte sie ihn nicht aufhalten. Als er sich zu ihr herunterbeugte und sie sich ihm entgegenreckte, war ihr letzter Gedanke, welch ein Fehler es war – und wie wunderbar.
Endlich kamen ihre Lippen zusammen. Doch dieses Mal fühlte sich der Kuss anders an. Leidenschaftlicher. Und es war klar, dass sie beide nach diesem Kuss kein schlechtes Gewissen haben würden. Auf eine unbegreifliche Art und Weise schien es Vanessa, als hätte alles, was seit ihrer Ankunft geschehen war, auf diesen Moment hingezielt. Tief in ihrem Inneren fühlte sie, dass alles von Anfang an unvermeidlich gewesen war. Es kam ihr jetzt unvorstellbar vor, dass Marcus ihr anfangs unsympathisch gewesen war. Sie hatte sich getäuscht.
„Ich will dich, Vanessa“, flüsterte er, seine Lippen ganz nahe an ihren. „Es ist mir gleich, ob es ein Fehler ist.“
Sie lehnte sich zurück, um ihm in die Augen zu schauen. Wie konnte es sein, dass sie diesen wundervollen Mann erst vor ein paar Tagen zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher