Julia Extra Band 377

ich gerade im Badezimmer“, log sie. „Wahrscheinlich habe ich vergessen, den Hahn zuzudrehen. Entschuldige mich bitte einen Moment.“
    Vittorio schaute ihr nach und trank einen Schluck Orangensaft. Das war ja ein schreckliches Zeug! Er schüttelte sich und dachte sehnsüchtig an den frisch gepressten Saft von Orangen aus seinem eigenen Hain hinter der Ferienvilla in Positano. Wenn er dort Urlaub machte, servierte seine Haushälterin ihm jeden Morgen ein Glas des köstlichen Saftes. Er stellte das Glas zurück auf den abgenutzten Tresen und sah sich um. Kein Wunder, dass Alex Sharpe einen reichen Freund suchte. In diesem winzigen, heruntergekommenen Apartment konnte man sich ja nicht wohlfühlen. Die letzte Renovierung hatte hier wohl in den siebziger Jahren stattgefunden.
    Allerdings war es kein Wunder, dass sein Schwager, dieser gewissenlose Schürzenjäger, auf die Reize der Bewohnerin angesprungen war. Sie war unwiderstehlich attraktiv. Selbst in Jeans und Top sah sie hinreißend aus. Dieses blonde Haar, das fein geschnittene Gesicht ohne Make-up – die personifizierte Verführung! Und dann dieser geschmeidige, sinnliche Körper, der erregende Duft – eine Mischung aus Jasmin und Maiglöckchen. Vittorio hatte Mühe, seine Erregung im Zaum zu halten. Fast hätte er vergessen, warum er eigentlich hergekommen war.
    Sein Plan war, das Medieninteresse von Rocco abzulenken, um seiner Schwester Chiara Kummer zu ersparen. Vittorio lächelte zufrieden vor sich hin. Das würde ein Kinderspiel werden. Mrs Alex Sharpe würde keine Sekunde zögern, wenn sie die Chance witterte, ihre Lebensumstände zu verbessern. Mal abgesehen davon, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als bei seinem Plan mitzumachen.
    Ally hatte sämtliche Fotorahmen eingesammelt und sie in ihrem Koffer versteckt, den sie unters Bett geschoben hatte. Sie richtete sich auf, atmete tief durch und kehrte in die winzige Küche zurück. Vittorio Vassallo drehte sich um und fixierte sie.
    „Mrs Sharpe …“
    „Ich dachte, wir duzen uns. Du kannst ruhig Ally sagen.“ Mit dem Namen ihres gewalttätigen Exschwagers angeredet zu werden, löste sofort Übelkeit bei ihr aus. „Alle nennen mich Ally“, fügte sie erklärend hinzu.
    „Ja? Mein Schwager hat von dir immer als Alexandra oder Alex gesprochen“, entgegnete Vittorio.
    Ally erwiderte seinen misstrauischen Blick. „Vittorio ist auch ziemlich lang. Wie nennen dich deine Freunde und die Familie?“, erkundigte sie sich, um ihn abzulenken.
    „Vito. Aber diese Kurzform ist engen Freunden und meiner Familie vorbehalten.“
    „Aha. Also Vittorio, was hat dich denn nun hergeführt?“ Ally lächelte kühl. Sein arroganter, fast herablassender Blick ärgerte sie.
    „Ich bin wegen meines Wagens hier.“
    „Wegen deines Wagens?“ Ally musterte ihn erstaunt. Irgendwie hatte sie plötzlich ein sehr ungutes Gefühl.
    „Ja. Du hast ihn völlig zerkratzt. Der Schaden beläuft sich auf mehrere Tausend Euro. Offenbar hast du gedacht, er gehört Rocco. Aber es war mein Wagen, den du so zugerichtet hast. Ich erwarte, dass du für den Schaden aufkommst.“
    Entsetzt senkte Ally den Blick. „Oh.“ Sie räusperte sich und sah wieder auf. „Ich fürchte, du verwechselst mich.“
    Vittorio kam ihr bedrohlich nahe. „Tatsächlich? Ist dir eigentlich klar, dass ich dich allein wegen dieser Straftat ins Gefängnis befördern könnte? Von dem Geld, das du gestohlen hast, mal ganz zu schweigen.“
    „Was denn für Geld?“, erkundigte sie sich verblüfft. Und dann fielen ihr die Geldbündel in ihrer Handtasche ein. Alex hatte das Geld gestohlen? Ally wurde heiß und kalt. „Ich war das nicht“, stieß sie heiser hervor. Durch Vittorios Nähe wurde ihr schwindlig. „Ich habe weder dein Auto zerkratzt noch Geld gestohlen.“
    Vittorio fluchte leise. „Willst du mich für dumm verkaufen? Ich habe Beweise!“
    Am liebsten hätte Ally jetzt ihre wahre Identität offenbart, doch dadurch lief sie Gefahr, dass Vittorio Anzeige gegen Alex erstattete, und das durfte sie nicht zulassen. In ihrem gegenwärtigen Zustand musste ihrer Schwester jegliche Aufregung erspart bleiben. Darauf würde der zornige Vittorio jedoch ganz sicher keine Rücksicht nehmen, so wie er sich gebärdete. Sie hatte keine Wahl. Die Scharade musste weitergehen.
    „Darf ich fragen, was für Beweise du hast?“ Ängstlich wich Ally zurück.
    „Ein Passant hat dich mit dem Handy fotografiert, als du meinen Wagen zerkratzt hast“, stieß Vittorio