Julia Festival 94
Wozu ein Geschenk von dem Mann, den sie schon wenige Stunden nach der Hochzeit verlassen wollte? Sie selbst hatte nichts für Alexio und hielt einen Austausch von Geschenken auch nicht für notwendig. Die Hochzeit war ja nur Formsache, eine geschäftliche Abmachung, die vor dem Altar besiegelt wurde. Musste Alexio unbedingt diesen persönlichen Ton hineinbringen?
Kalliope konnte ihre Ungeduld nicht länger bezwingen und öffnete das Paket selbst.
„Sieh nur“, sagte sie und nahm ein ovales Lederetui heraus.
Ione riss es ihr beinahe aus der Hand und öffnete es. Auf einer dunklen Samtunterlage lag ein kostbares Smaragdcollier mit Brillanttropfen. Es war eine hervorragende Juwelierarbeit, aber in Iones Augen bedeutete sie wenig. Alexio erledigte nur die Formalitäten, die man von ihm erwartete.
„Warum ein so großes Paket für das kleine Etui?“, fragte Kalliope verwundert.
Ione bemerkte, dass sich unter der inneren Verpackung ein Hohlraum befand, und zog das Schmuckpapier weg. Ein zweites Geschenk kam zu Tage, bei dessen Anblick ihr der Atem stockte. Vorsichtig hob sie einen Teddybären aus dem Karton, der noch das Namensschild eines weltbekannten Auktionshauses um den Hals trug. Es war ein sehr seltener Bär, über hundert Jahre alt, mit einem besonders ausdrucksvollen Gesicht. Tränen traten Ione in die Augen. Cosmas würde den Bären geliebt haben.
„Als ob du noch so ein albernes Stofftier gebraucht hättest!“, rief Kalliope enttäuscht. „Hält dein Bräutigam dich vielleicht für ein dummes kleines Kind?“
Cosmas hatte Ione von jeder Reise mindestens einen neuen Bären mitgebracht, und bisher hatte sie sich von keinem einzigen trennen können. Mit jedem waren besondere Erinnerungen an ihren angebeteten Bruder verbunden.
„Alexio sollte dankbar sein, wenn du heute Nacht nicht ihn, sondern diesen Stoffbären mit in dein Bett nimmst“, bemerkte Kalliope giftig. „Er ist ein kluger Mann und besitzt Charme. Er weiß, wie man das Herz einer richtigen Frau gewinnt. Aber diese Hochzeit ist ja nur ein Geschäftstrick deines Vaters.“
Ione setzte den Bären auf einen Stuhl und ignorierte, was Kalliope über die bevorstehende Hochzeitsnacht gesagt hatte. Ein so bissiger Kommentar konnte sie nur in ihrer Entscheidung bestärken.
Sie trat vor den Spiegel und zupfte ihren kurzen Spitzenschleier zurecht. Ursprünglich hatte sie es ihrer Tante überlassen wollen, das Brautkleid auszusuchen, aber Kalliopes Vorliebe für Rüschen, Schleifen und Petticoats war ein unüberwindliches Hindernis gewesen, Ione wollte vor den vielen Gästen nicht wie eine Vogelscheuche erscheinen und hatte sich für ein enges Kleid mit kurzen Ärmeln und halsfernem Kragen entschieden, das elegant wirkte und sie größer erscheinen ließ. Trotzdem durfte sie nicht vergessen, dass alles nur eine Farce war und dass Alexios Geschenke – auch der Bär – nur seine Gewandtheit im Umgang mit Frauen und damit seinen schlechten Ruf bestätigten.
Eine Stunde später hielt die Hochzeitslimousine vor der stattlichen Kirche, die Minos vor fast dreißig Jahren aus Anlass von Cosmas’ Geburt gestiftet hatte, Ione stieg eher bedrückt als erwartungsvoll aus. Ihre drei Brautjungfern waren entfernte Cousinen und murrten darüber, dass die tagelangen Festlichkeiten, die einer griechischen Hochzeit vorauszugehen pflegten, nicht stattgefunden hatten. Kalliope war bemüht gewesen, ihren Bruder umzustimmen, aber er hatte sich hartnäckig geweigert, „seine Villa zum Tummelplatz für alberne Frauenspersonen zu machen“ – sehr zu Iones Erleichterung, aber zur Verärgerung ihrer Tante und ihrer Cousinen.
Alexio wartete mit einem Blumenstrauß in der Hand auf den Stufen vor der Kirche, Ione hatte nicht damit gerechnet, dass er diesen Brauch einhalten würde, und spürte eine plötzliche Verlegenheit, zu der auch Alexios Anblick beitrug. Sein dunkles Haar schimmerte im Sonnenlicht, und der dunkle Anzug stand ihm besonders gut.
„Fünf Minuten, aber nicht länger“, raunte er Ione zu, denn immer mehr Inselbewohner drängten heran, um dem Brautpaar Glück zu wünschen. Es entging ihm nicht, wie blass Ione war, aber er schob es auf die Scheu vor den vielen Menschen und das Unbehagen, plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
Ione liebte die prachtvoll ausgestattete Kirche, mit der sie die ersten religiösen Erlebnisse ihrer Kindheit verband. Petros, ein guter Freund von Alexio, war der „koumpáros“ und erfüllte seine Aufgabe als
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