Julia Festival 94
besucht und dieselben leidenschaftlichen Stunden verbracht hatte. Es wäre sinnlos gewesen, sich mit solchen Vorstellungen zu quälen, aber mit der Entdeckung der Fotografie geriet alles aus dem mühsam bewahrten Gleichgewicht.
Alexio tauchte aus dem Ankleidezimmer auf. Ein Blick in sein dunkles, ausdrucksvolles Gesicht genügte, um Iones Zorn und Schmerz zu verdoppeln. Sie hatte sich für ihn gedemütigt, hatte das ersehnte Wiedersehen mit ihrer Schwester aufgeschoben, um die Frau zu sein, die er sich wünschte. Sie hatte nur noch an ihn gedacht, weil sie ihn über alles liebte, und genau das war falsch gewesen. Über so viel Hingabe hatte sie aufgehört, an sich selbst zu denken, und ihre eigenen Wünsche vergessen.
„Dreh dich um“, sagte Alexio in dem tiefen, rauen Ton, der sie noch vor wenigen Minuten schwach gemacht hätte. „Du siehst hinreißend aus in dem Kleid.“
Ione hatte am Fenster gestanden und fuhr heftig herum. Ihre grünen Augen funkelten wie zwei geschliffene Smaragde. „Ich habe das Foto von Crystal Denby entdeckt, das du in deiner Nachttischschublade aufbewahrst!“
Alexio zog die dunklen Augenbrauen zusammen und sah sie abwartend an. „Und?“, fragte er so ruhig, wie er es immer tat, wenn er eine bevorstehende Auseinandersetzung auf sich zukommen sah.
Dieses eine belanglose Wort genügte, um Ione den Rest ihrer Fassung zu nehmen. Und? Als ob es ihr gleich sein könnte, dass ihr Ehemann das Bild einer anderen Frau aufbewahrte! Als ob sie kein Recht hätte, sich dazu zu äußern! Als ob sie so verrückt wäre, etwas dagegen einzuwenden! All das war für Ione in dem einen Wort enthalten – viel mehr, als Alexio annehmen konnte.
„Wenn du das Foto nicht vernichtest, verlasse ich dich!“, schrie sie außer sich.
Alexio sah sie an, als hätte er die melodramatische Drohung nicht gehört. Die Art, wie er dastand, mit breiten Schultern und leicht gespreizten Beinen, drückte Kraft und Überlegenheit aus.
„Wenn wir jetzt nicht aufbrechen, lohnt es sich nicht mehr, die Oper zu besuchen.“
Ione hatte nicht damit gerechnet, dass er sie einfach nicht ernst nehmen würde, und das brachte sie völlig aus der Fassung. „Glaubst du, dass ich Lust habe, mir eine alberne Oper anzuhören, wenn du das Bild einer anderen Frau in unserem Schlafzimmer aufbewahrst?“, fuhr sie ihn an.
„Schrei nicht so“, antwortete Alexio leise, aber in seinem Blick lag eine deutliche Warnung.
Übelkeit stieg in Ione auf. Sie kannte diese Reaktion von den Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, aber bei Alexio passierte ihr das zum ersten Mal. Trotzdem gab sie nicht nach, so wenig, wie sie Minos nachgegeben hatte, wenn es zum Streit mit ihr oder ihrer Mutter gekommen war.
„Du hast mich beleidigt!“, schleuderte sie Alexio entgegen.
Alexio verwünschte das Personal, dem er vor seiner Ankunft befohlen hatte, alle Andenken aus der Villa zu entfernen. Ausgerechnet Crystals Foto hatte man übersehen, das ihm schon lange nichts mehr bedeutete.
„Womit habe ich dich beleidigt?“, fragte er betont gleichgültig, denn er hatte die Erfahrung gemacht, dass die meisten Frauen diesem Ton nicht gewachsen waren. Doch bei Ione wirkte das nicht. Sie reagierte, als hätte er Öl ins Feuer gegossen.
„Ich bin deine Frau. Sie war ein Flittchen!“
Sobald Ione das Wort ausgesprochen hatte, schämte sie sich. Eine Frau, die er geliebt hatte, so gemein zu beschimpfen war unverzeihlich.
Alexios Blick drückte so große Verachtung aus, dass Ione sich immer erbärmlicher vorkam. „Ich achte Crystals Andenken und erwarte, dass du dasselbe tust“, sagte er scharf. „Eifersüchteleien dulde ich nicht.“
„Ich bin nicht eifersüchtig“, verteidigte sich Ione, aber Alexio hörte sie nicht mehr. Er hatte das Zimmer bereits verlassen.
Ione schloss die Augen und verwünschte ihre eigene Dummheit. Gleich darauf lief sie Alexio nach, aber sie kam zu spät. Als sie den oberen Treppenabsatz erreichte, hörte sie unten die Haustür ins Schloss fallen.
Eifersüchtig? Ja, musste sie sich eingestehen, sie war blind vor Eifersucht auf die Frau, die einmal Alexios Herz besessen hatte. Crystals Tod änderte nichts daran, denn ihr Andenken lebte fort. Alexio erwähnte sie zwar nie, aber Ione stellte auch keine Fragen. Je wichtiger Alexio für sie wurde, desto weniger konnte sie die Erinnerung an seine ehemalige Verlobte ertragen.
Warum bewahrte er bloß eine Fotografie von ihr auf? Nicht offen auf seinem Schreibtisch, sondern heimlich
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