Julia Festival 94
Zwillingsschwester.“
Alexio nahm die Fotografie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, betrachtete sie einen Moment und fragte dann: „Ist das wirklich dein Ernst?“
Sein Gesicht und seine Stimme drückten solche Fassungslosigkeit aus, dass Ione blass wurde und erneut im Bett Schutz suchte. „Ein Kindermädchen hat das Bild aufgenommen, bevor Misty und ich getrennt wurden.“
„Adoptiert …“ Alexio ließ sich auf einen Sessel fallen und sah Ione mit starrem Blick an. „Wann bist du adoptiert worden?“
„Als ich wenige Wochen alt war. Ich war nicht so gesund wie meine Schwester. Meine Mutter hatte weder die Kraft noch den Mut, meine Pflege zu übernehmen, und gab mich zur Adoption frei.“
„Nicht so gesund?“, wiederholte Alexio zweifelnd. „Was fehlte dir denn?“
„Ich hatte Untergewicht und wollte nicht trinken. Außerdem stimmte etwas mit meinen Hüftgelenken nicht. Dad wollte einen Jungen adoptieren, aber Mum entschied sich für mich. Das Ganze sollte dazu dienen, Mum seelisch zu entlasten und damit ihre Empfängnisbereitschaft zu erhöhen … ein alter Aberglaube, der damals in Griechenland noch viele Anhänger hatte.“
„Gelegentlich soll diese Methode gewirkt haben.“ Alexio ließ Ione nicht aus den Augen und wog jedes Wort sorgfältig ab. Das Geständnis hatte ihn so überrascht, dass er zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos war. „Wann hast du herausgefunden, dass du adoptiert worden bist?“
„So früh, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann.“
„Wo wurdest du geboren?“
„In London.“
Alexio zuckte zusammen, als hätte ihn ein Schlag getroffen. „Du bist Engländerin?“
„Ich habe keinen Tropfen griechisches Blut in mir“, gab Ione zu. Es wäre sinnlos gewesen, jetzt nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Alexio war ohnehin zutiefst erschüttert. Dabei hatte sie ihre fragwürdige Herkunft gar nicht erwähnt, und auch Mistys sizilianischer Tycoon war noch nicht zur Sprache gekommen.
„Durch Adoption Griechin zu sein ist fast genauso gut“, versicherte Alexio. Er hatte sich zu Ione aufs Bett gesetzt und hielt ihre Hand. Fast hätte er hinzugefügt, dass die Gakis’ kein beneidenswertes Erbgut besitzen würden, aber dann siegte doch sein Taktgefühl. Außerdem stand er immer noch unter Schock.
Ione wollte kein Mitleid von Alexio, sie wollte nur wissen, was er jetzt von ihr dachte. Warum ihr das so wichtig war, hätte sie nicht sagen können. Was hatte sich schon geändert? Sie blieb die Gakis-Erbin, sie blieb seine Frau, und das Foto von Crystal lag immer noch in seiner Schublade.
Mit ungewohnter Heftigkeit entzog sie Alexio ihre Hand und kehrte ihm den Rücken zu. „Du hattest ein Recht, die Wahrheit zu erfahren, aber mehr möchte ich jetzt nicht sagen. Gute Nacht.“
Als Ione am nächsten Morgen aufwachte, stellte sie enttäuscht fest, dass sie Alexios Abreise verschlafen hatte. Etwa eine Stunde später wurde ihr ein Korb mit prächtigen Blumen gebracht. Sie zog die beiliegende Karte heraus und las: „Jetzt bist du eine Christoulakis.“
Alexio hatte die Worte geschrieben, um sie zu trösten und ihr gleichzeitig zu sagen, dass es eine Ehre war, zu seiner Familie zu gehören. Sie lächelte erleichtert und kämpfte gleichzeitig mit den Tränen.
Hatte sie ihn gestern Abend vielleicht missverstanden? Die Wahrheit über ihre Herkunft hatte ihn erschüttert, aber doch nicht so grundsätzlich, dass er abgereist war, ohne ihr diesen Blumengruß zu schicken, Ione verwünschte ihre Empfindlichkeit, mit der sie eine Aussöhnung verhindert hatte. Wie gern wäre sie jetzt bei ihm gewesen, aber sie würde sechsunddreißig Stunden warten müssen, bis er zurückkam. Es sei denn …
Es sei denn, sie flog ebenfalls nach London, um ihn zu überraschen! So plötzlich der Gedanke aufgetaucht war, so nachhaltig beschäftigte er sie. Einer der Angestellten kannte bestimmt Alexios Londoner Adresse. Wenn er von der letzten Besprechung erschöpft nach Hause kam, würde sie da sein und ihn erwarten.
8. KAPITEL
Ione war in überschwänglicher Stimmung, als der Leihwagen, den ihre Leibwächter für sie besorgt hatten, vor dem Apartmenthaus hielt, in dem sich Alexios Wohnung befand.
Sie war zum ersten Mal wieder in London. Dank ihrer Adoptivmutter war sie zweisprachig aufgewachsen, hatte aber immer gefürchtet, Amandas Englisch könnte sich im Ernstfall als veraltet erweisen. Deshalb hatte sie während des Fluges die Gelegenheit wahrgenommen und mit ihrem Nachbarn –
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