Julia Festival 94
hatte. Mochte sie rangmäßig auch weit unter dem Kronprinzen von Quamar stehen, als Schwiegertochter war sie der Witwe des Bruders vorzuziehen. Verglichen mit Sabirah, war eine unbekannte englische Kinderfrau offenbar das kleinere Übel.
Zwei Tage später, früher als erwartet, kam Jaspar zurück. Freddy gestand es sich nicht ein, aber sie hatte Stunden damit zugebracht, sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Ihre Fingernägel waren zartrosa lackiert, die widerspenstigen Locken hatten sich bändigen lassen, und ein Hauch von Make-up belebte ihr Gesicht.
Die Kleiderwahl fiel ihr besonders schwer. Erst kurz bevor der Hubschrauber landete, entschied sie sich für ein fliederfarbenes Kleid – ein Geschenk von Erica, das sie heute zum ersten Mal trug.
„O nein“, stöhnte sie, als sie sich abschließend im Spiegel betrachtete. „Wenn das nicht übertrieben ist …“ Aber es war zu spät, um auf ein schlichteres Kleid auszuweichen. Sie schlüpfte in halbhohe Schuhe, nahm Ben, der bereits einen Pyjama trug, auf den Arm und eilte zur Treppe.
Sie erblickte Jaspar zuerst. Er durchquerte mit großen Schritten die Halle, blieb stehen, als er Freddy herunterkommen sah, und kam ihr dann rasch entgegen.
„Gib mir den Jungen“, drängte er.
Ben ließ sich widerstandslos auf den Arm nehmen. Er strahlte seinen Onkel an, brabbelte unverständliches Zeug und gebärdete sich so zutraulich, dass Jaspar glücklich lächelte.
„Er hat sich wieder gefangen“, meinte er. „Genauso war er in London … voller Leben und gar nicht ängstlich. Du hast ein Wunder an ihm vollbracht.“
Freddy lächelte ebenfalls. „Ich spiele nur mit ihm und drücke ihn ab und zu an mich. Das ist alles.“ Jaspars Gegenwart machte sie so befangen, dass ihr jedes Wort schwerfiel. Dabei hätte sie so gern etwas Witziges oder Geistreiches zur Begrüßung gesagt!
Gemeinsam stiegen sie die restlichen Stufen hinunter. Unten blieb Jaspar stehen und sah Freddy lange an. „Du siehst bezaubernd aus in dem Kleid.“
„Erica hat es mir geschenkt, aber ich trage es heute zum ersten Mal.“ Freddy war so nervös, als erlebte sie ihr erstes Rendezvous. „Bisher hatte ich keinen Anlass dazu. Ich bin nie ausgegangen, weder in Nachtclubs noch ins Theater …“
„Ich werde mit dir einkaufen gehen. Du musst nicht die abgelegten Kleider deiner Cousine tragen.“
„Das Kleid ist nicht abgelegt. Erica hat es für mich gekauft. Sie schenkte mir oft die Kleider, die sie selbst trug … natürlich in meiner Größe. Ich weiß, du hasst sie, aber ich hänge immer noch an ihr.“
Freddy hatte nicht vorgehabt, Erica so warmherzig zu verteidigen, aber die Worte waren nicht mehr zurückzunehmen. Ängstlich beobachtete sie Jaspars Gesicht. Er lächelte nicht mehr, und das unheilvolle Schweigen, das folgte, zerrte an ihren Nerven.
„Du magst recht haben“, erklärte er endlich zu ihrer Verwunderung. „Solange du Adil nicht beleidigst, bin ich bereit, Erica gegenüber großzügig zu sein. Eines Tages wird uns Benedict nach seinen leiblichen Eltern fragen. Dann müssen wir die Vergangenheit möglichst vorurteilsfrei sehen.“
Freddy nickte benommen. Jaspar sprach, als würden sie noch lange zusammenbleiben, aber warum überraschte sie das so? Er wollte Kinder mit ihr haben und erwartete sicher nicht, dass sie diese schon an der Wiege verließ. Er war bereit, Ben mit ihr großzuziehen, was nur bedeuten konnte, dass er ihre Ehe als endgültig ansah. Er hatte keine andere Wahl. So wie sie keine andere Wahl hatte, als ihm den ersehnten Thronerben zu schenken.
Jaspar war ihr einen Schritt voraus und hatte sich schneller in das Unvermeidliche gefügt als sie. Die wunderschönen gelben Rosen und die Anrufe passten zusammen und sollten Beweise seiner neuen Einstellung sein. Er versuchte, sich wie ein normaler Ehemann zu verhalten. Dass er nach der fünftägigen Trennung nicht seine Frau, sondern den kleinen Ben an sich zog, lag daran, dass ihm diese Frau nichts bedeutete. Er wäre freiwillig nicht mal mit ihr ausgegangen, und sich von ihr zurückzuhalten, konnte ihn keine große Anstrengung kosten. Daran änderte auch die Hochzeitsnacht nichts. Rückblickend wollte es Freddy scheinen, als hätte er nur mit ihr geschlafen, um ihr seine Macht zu beweisen.
Zur Begrüßung wurden im großen Salon mit viel Aufwand Erfrischungen serviert. Jaspar hatte aus New York eine Spielzeugeisenbahn mitgebracht, die so groß war, dass Ben darauf mitfahren konnte. Freddy sah zu, wie
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