Julia Festival 94
sein älterer Bruder.“
An der Treppe, die zum Landeplatz hinunterführte, machten sie kehrt und gingen zum Palast zurück. Freddy übergab Karim und Ben der Kinderfrau und suchte ihr Ankleidezimmer auf, um sich für das Dinner umzuziehen.
Ein ereignisreiches Jahr lag hinter ihr. Einen Monat nach Feststellung ihrer Schwangerschaft waren Jaspar und sie in einer prächtigen Zeremonie kirchlich getraut worden, und König Zafir hatte sie zur königlichen Prinzessin erhoben.
Wenige Monate später hatte Sabirah einen libanesischen Millionär geheiratet und Quamar verlassen – sehr zur Erleichterung der Al-Husayns, die nun keine neuen Skandale zu fürchten brauchten.
Ruth war schon mehrmals zu Besuch gekommen und verstand sich ausgezeichnet mit Jaspar. In ihrer ruhigen, bestimmten Art hatte sie Freddy während der Schwangerschaft sehr geholfen. Jaspars ständige Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte, war zwar ein Zeichen seiner Liebe gewesen, hatte aber auch zu Spannungen geführt.
Obwohl Jaspar seine Furcht vor Krankenhäusern durch die gemeinsamen Besuche bei dem Gynäkologen überwunden hatte, war Karim im königlichen Palast zur Welt gekommen. Ein vollständiges medizinisches Team hatte für jeden erdenklichen Notfall zur Verfügung gestanden, aber es war eine leichte Geburt mit kurzen Wehen gewesen.
Nach Freddys Ansicht hatte Jaspar weit mehr gelitten als sie. Ich liebe ihn so sehr, dachte sie, während sie ein türkisfarbenes Abendkleid anzog und den passenden Schmuck dazu auswählte. Sie besaß inzwischen mehrere kostbare antike Erbstücke neben moderneren Sachen, die Jaspar ihr geschenkt hatte.
König Zafir, dessen Gesundheitszustand sich im Laufe des Jahres erstaunlich gebessert hatte, überbot seinen Sohn noch an Großzügigkeit, aber nicht nur deswegen hatte Freddy ein zärtliches Verhältnis zu ihm gewonnen. Er behandelte sie wie eine Tochter, und es tat ihr unendlich wohl, in Jaspars Familie eine neue Heimat gefunden zu haben.
Von ihren Zwillingsschwestern hatte Freddy bisher nichts gehört, aber der Wunsch, ihre einzigen lebenden Verwandten kennenzulernen, wuchs beständig. Manchmal träumte sie von ihren Schwestern, sah sie sogar deutlich vor sich und wunderte sich beim Aufwachen über sich selbst. Wie konnte man von Menschen träumen, die man nie gesehen hatte?
Bisher hatte sich nur als sicher herausgestellt, dass die Mädchen adoptiert worden waren. Allerdings war das durch Vermittlung einer privaten Agentur geschehen, deren Unterlagen sich leider als lückenhaft erwiesen hatten.
Jaspar kam herein, ohne dass Freddy etwas bemerkt hatte. „Ich habe eine Überraschung für dich“, sagte er leise hinter ihr. „Mach die Augen zu.“
Freddy senkte die Lider. „Was ist es?“
„Versprich mir, dass du dich nicht zu sehr aufregst, denn wir müssen gleich zum Dinner hinuntergehen. Eine deiner Schwestern ist aufgespürt worden. Wir haben ihren Namen herausgefunden und suchen jetzt nach der Adresse. Hier ist die Nachricht aus London.“
Freddy drehte sich um und griff nach dem Brief. „O Jaspar, das ist wenigstens ein Anfang! Wie heißt sie?“
„Melissa. Ihr Nachname ist Carlton … wie der Mädchenname deiner Mutter. Wir wissen, wo sie im Alter von fünf Jahren gewohnt hat, aber alles andere liegt noch im Dunkeln.“
Freddy überflog die kurze Mitteilung. „Wir haben ihren Namen und werden mehr herausfinden!“, rief sie. „Das spüre ich.“
„Und ich weiß es.“ Jaspar nahm sie liebevoll in die Arme. „Wer so zuversichtlich ist, wird bestimmt nicht enttäuscht.“
„Ich liebe dich Jaspar“, flüsterte Freddy mit Tränen in den Augen. „Wenn du wüsstest, wie sehr.“
„Ich liebe dich auch … dich und unsere Söhne. Auf dem Weg hierher habe ich Benedict Gute Nacht gesagt und nach Karim gesehen. Er schläft fest.“
„Du denkst wirklich an alles.“
Jaspar sah sie zärtlich an. „Das liegt an dir. Habe ich dir jemals gesagt, wie wunderbar du bist?“
„Du kannst es nicht oft genug sagen.“ Freddy schmiegte sich glücklich an ihn und überließ sich willig seinem Kuss.
An diesem Abend wurde in „Anhara“ sehr spät gegessen.
– ENDE –
Ein Kuss sagt mehr
als 1000 Worte
1. KAPITEL
Leone Andracchi lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und betrachtete die Frau, die er zum Werkzeug seiner Rache ausersehen hatte.
Melissa Carlton trug ihr kupferrotes Haar schlicht frisiert. Weder ihr graues Kostüm noch die flachen Schuhe wirkten besonders weiblich oder
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