Julia Festival 94
meinte er mit seiner warmen, tiefen Stimme.
Ein schwacher Hoffnungsschimmer erschien in Mistys silbergrauen Augen, und Leone konnte nicht verhindern, sie nackt vor sich zu sehen, an einem heißen sizilianischen Nachmittag auf sein Bett hingestreckt, mit aufgelöstem rotem Haar und verlangend geöffneten Lippen … Leider würde es nie dazu kommen, denn es gehörte zu seinem Plan, dass sie nur scheinbar seine Geliebte sein sollte.
Misty schenkte ihm sogar eigenhändig Kaffee ein. Ob ihr verflossener Freund, der Rockstar, auch in den Genuss dieser kleinen liebenswürdigen Beweise von weiblicher Zuneigung gekommen war, die noch dem letzten Schwächling das Gefühl gaben, ein toller Typ zu sein? Doch Misty war nicht etwa eine zarte, hinfällige Blüte. Ihre Akte enthielt einige ganz erstaunliche Dinge. Mit zweiundzwanzig Jahren hatte sie schon ein recht bewegtes Leben hinter sich, das Leones Mitleid erregt hätte, wenn da nicht dieser angebliche Betrug gewesen wäre, der eine alte Dame um ihre gesamten Ersparnisse gebracht hatte. Nein, hinter diesen schönen grauen Augen lauerte ein kleines Biest mit einem Herzen aus Stein.
Blut macht sich eben bemerkbar, dachte Leone verächtlich, während er den Kaffee probierte, der ganz nach seinem Geschmack gesüßt war. Mochte Misty auch keine Ahnung haben, wer ihr Vater war, mochte sie ihm nie begegnet sein – eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Oliver Sargent und seiner Tochter, die gleiche Neigung, andere für die eigenen Interessen auszunutzen, war nicht zu übersehen.
Melissa Carlton war bei wechselnden Pflegeeltern aufgewachsen und hatte auch später nie richtig Fuß gefasst. Die Verlobung mit einem reichen Grundbesitzer hatte nicht gehalten, worüber die Mutter des Verlobten, die Misty für berechnend und geldgierig hielt, noch heute froh war. Danach hatte der Rockstar angebissen, ein ungepflegt wirkender Bursche mit blondem Haar, der unverständliche Texte ins Mikrofon schrie, während Misty auf der Bühne dazu tanzte. Auch diese Verbindung hatte nicht lange gehalten.
„Ich würde gern etwas mit Ihnen besprechen, Mr. Andracchi“, brachte Misty mühsam hervor.
„Im Augenblick passt es schlecht“, antwortete Leone und sah Misty mit heimlicher Genugtuung blass werden.
Sollte sie ruhig noch etwas länger schmoren, letzten Endes würde sie bei dem Handel gewinnen. Zu viel gewinnen, aber das konnte er nicht ändern. Sie war Oliver Sargents schwache Stelle, und er brauchte sie, um den gemeinen Heuchler zu Fall zu bringen. Sobald die Presse Melissa Carlton als Olivers uneheliche Tochter entlarvt hatte, würde es mit der Karriere dieses Moralpredigers für immer vorbei sein. Seine Frau, mit der er keine Kinder hatte, würde sich wahrscheinlich ebenfalls von ihm abwenden, aber das interessierte Leone nicht. Er wusste, woran Oliver am meisten hing: an der Macht, an einem höheren Posten bei der Regierung und an seinen schwärmerischen Verehrerinnen.
Der Skandal würde Oliver Sargent seinen Stolz, seine Macht und seinen Einfluss für immer nehmen – eine harte Strafe für einen Mann, der sich für unentbehrlich hielt und in seiner falschen Bedeutung sonnte. Nach und nach würde dann auch der andere Schmutz nach oben gespült werden: Olivers zweifelhafte finanzielle Transaktionen und seine Verbindungen zu unseriösen Geschäftsleuten. Er würde ruiniert sein, ohne die geringste Hoffnung, jemals rehabilitiert zu werden.
Das war viel, aber für Leone noch nicht genug. Er forderte nicht nur Rache für Battistas frühen Tod, er wollte auch, dass sein Opfer wusste, warum ihn die Rache traf. Oliver ließ in seiner Gegenwart bereits Anzeichen von Unsicherheit erkennen, obwohl er nicht ahnte, dass Leone von seiner Anwesenheit bei dem Unfall wusste. Leider fehlte noch jeder Beweis. Der skrupellose Verführer hatte seine Spur zu gut verwischt, und es war Leone trotz aller Anstrengungen nicht gelungen, sein Wissen durch einen Beweis zu erhärten.
Leone beobachtete, wie Misty ihre Angestellten unauffällig durch den Raum dirigierte, damit es nirgendwo an Erfrischungen fehlte. Wie sehr sie ihrer verstorbenen Mutter glich! Oliver Sargent würde der Angstschweiß ausbrechen, sobald er sie erblickte und ihren Namen hörte …
Misty fragte sich, ob sie jemals einen Mann so gehasst hatte wie Leone Andracchi. Gerade hatte er sie wie eine Dienstmagd entlassen, und sie hatte das schweigend hinnehmen müssen. Morgen lief ihr derzeitiger Vertrag mit „Brewsters“ aus, und sie wusste immer
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