Julia Festival 94
Zimmer.
Freddy ging zum Telefon, das auf einem geschnitzten Wandtischchen stand. Ob Ruth etwas zugestoßen war? Sie gehörte nicht zu den Menschen, die das Wort „dringend“ ohne Grund benutzten. Freddy hatte ihr mehrmals geschrieben, aber es waren unechte Briefe gewesen, denn sie hatte es nicht über sich gebracht, Ruth zu beichten, wie positiv sich ihre Ehe entwickelt hatte.
„Freddy?“ Ruths Stimme klang aufgeregter als sonst. „Bist du es?“
„Ja, Ruth …“
„Ich habe fantastische Neuigkeiten! Du hast das Recht, Ben zu dir zu nehmen und nach London zurückzukommen.“
„Nach London zurückzukommen?“, wiederholte Freddy mechanisch. „Mit Ben?“
„Ich habe das Apartment deiner Cousine noch einmal gründlich durchsucht und endlich ihr Testament gefunden.“
„Dann hat Erica doch eins gemacht?“, fragte Freddy verwundert.
„Ich bin immer davon ausgegangen, dass du Ericas Nachlass gründlich durchgesehen hast, aber das war offenbar ein Irrtum.“ Der versteckte Tadel war nicht zu überhören. „Hättest du es getan, wäre dir viel Kummer erspart geblieben. Erica hat dir alles hinterlassen.“
„Alles? Was bedeutet das?
„Nun, eben alles, was sie besessen hat … einschließlich der Vormundschaft für Ben. Was sagst du dazu?“
„Ich bin überwältigt …“ Weiter kam Freddy nicht. Dass Erica ihr so restlos vertraute und sich sogar die Mühe gemacht hatte, alles in einem Testament beglaubigen zu lassen, traf sie wie ein doppelter Schock. Mochte Erica auch keine gute Mutter gewesen sein, ihr kleiner Sohn war ihr wichtig genug gewesen, um seine Zukunft rechtlich abzusichern.
„Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich bei der erstbesten Gelegenheit mit Ben verschwinden“, meinte Ruth. „Die Al-Husayns haben jetzt keine rechtliche Handhabe mehr gegen dich.“
Freddys Gedanken überschlugen sich. Sie musste Jaspar gleich von dem Testament erzählen und ihm sagen, dass sie darauf verzichten würde. Aber zuerst musste Ruth alles erfahren.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“
„Ich bin schwanger, Ruth.“
„Sag das noch einmal.“
„Ich habe mich unsterblich in Jaspar verliebt, und jetzt bekommen wir ein Baby.“ Es klang fast wie eine Entschuldigung. „Es tut mir leid, dass ich in meinen Briefen nicht ehrlicher war, aber … wenn ich daran denke, wie viel Mühe es gekostet hat, Ericas Testament zu finden, bekomme ich ein ganz schlechtes Gewissen.“
Es summte in der Leitung, und Freddy wartete ängstlich auf eine Antwort.
„Dann kann ich jetzt wohl davon ausgehen, regelmäßig Ferien in eurem Palast machen zu können?“, fragte Ruth endlich.
„O ja!“, rief Freddy erleichtert. „Jederzeit.“
„Dann vergebe ich dir“, erklärte Ruth lachend, aber die Erschütterung war ihr trotzdem anzuhören. „Und deinem Kronprinzen auch.“
EPILOG
Ein gutes Jahr später spazierte Freddy mit ihren Söhnen Ben und Karim durch den Garten von „Anhara“. Karim lag in seinem Kinderwagen, Ben fuhr auf seinem neuen Fahrrad nebenher.
Ben trug inzwischen ebenfalls den Namen Al-Husayn, denn Freddy und Jaspar hatten ihn kurz nach Ruths Anruf adoptiert. Er würde zwar nie ein königlicher Prinz sein, aber Jaspar hatte erklärt, dass das nicht unbedingt ein Nachteil sei. Er würde unbekümmerter aufwachsen und sich später für ein eigenes Leben entscheiden können, während Karim, der den Namen des ersten Königs von Quamar trug, eine strenge Erziehung vor sich hatte. Bei ihm würde das Land immer an erster, die Familie an zweiter und seine persönlichen Wünsche erst an dritter Stelle kommen.
Freddy blickte voller Stolz auf den kleinen zukünftigen König. Karim machte ihr kaum Schwierigkeiten. Er schlief ein, sobald er in seinem Bett lag, und wachte meist erst gegen Morgen auf. Eine Tante von Jaspar hatte ihr erzählt, dass es bei ihm genauso gewesen sei. Auch er sei immer zufrieden gewesen und habe selten geschrien. Für Freddy gab es eine viel einfachere Erklärung. Sie war überzeugt, dass ein Baby spürte, wenn es geliebt und hingebungsvoll umsorgt wurde.
Ben stieg von seinem Fahrrad und sah in den Kinderwagen. „Karim schläft schon wieder“, beklagte er sich. „Wann wird er endlich mit mir spielen?“
„In einigen Monaten kann er sitzen, dann wirst du mehr Spaß an ihm haben.“
„Kann er dann schon sprechen?“
Freddy lachte. „Er kann Laute von sich geben, aber bis die ersten Worte kommen …“
„Ich werde sie ihm beibringen“, versprach Ben. „Ich bin
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