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Julia Festival 94

Julia Festival 94

Titel: Julia Festival 94 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Graham
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Fassade brauchte dringend einen frischen Anstrich. Es wäre übertrieben gewesen, von einem Gutshaus zu sprechen, aber „Fossetts“ war zu groß und zu eigenwillig gebaut, um es mit bescheidenen Mitteln zu erhalten.
    Doch sobald Misty den holzgetäfelten Vorderflur betrat, war ihr, als fielen alle Sorgen und Nöte von ihr ab. Auf einem Seitentischchen stand eine Vase mit halb verblühten Rosen, die ihren letzten Duft verströmten und immer mehr Blätter fallen ließen. Misty blieb einen Augenblick stehen, um sich daran zu erfreuen, und ging dann weiter in die Küche, wo die alten Einbauschränke aus Fichtenholz und der große weiße Porzellanausguss noch an die alte Zeit erinnerten.
    Nancy machte gerade Sandwiches zum Tee zurecht. Sie war eine Cousine von Robin und Ende fünfzig. Sie war vor zwanzig Jahren nach „Fossetts“ gekommen, um bei der Betreuung der Kinder zu helfen, und hatte es nie wieder verlassen. Inzwischen sorgte sie nur noch für Birdie.
    „Birdie ist im Sommerhaus“, verkündete sie fröhlich. „Wir trinken den Tee heute draußen.“
    Misty rang sich ein Lächeln ab. „Was für eine nette Idee! Kann ich helfen?“
    „Nein, nein. Geh nur zu Birdie und leiste ihr Gesellschaft.“
    Es war ein warmer Juniabend, aber Birdie hatte sich in eine Wolldecke gewickelt, denn sie fror immer, auch bei schönstem Wetter. Sie war klein, nur ein Meter achtundvierzig, und sehr zierlich. Ihr Gesicht zeigte die Spuren eines langen, opfervollen Lebens, nur die blauen Augen leuchteten wie zwei Sterne daraus hervor.
    „Ist der Garten nicht bezaubernd?“, fragte sie mit einem matten Lächeln.
    Misty betrachtete das Mosaik von Licht und Schatten unter den Buchen, das saftige Gras des frühen Sommers und die hellroten Blüten des Rhododendrons, die schon am Verblühen waren. Es war ein stilles, friedliches Bild.
    „Wie geht es dir heute?“, fragte sie besorgt.
    Birdie sprach nicht gern über ihre Gesundheit und überhörte die Frage. „Ich hatte Besuch“, berichtete sie. „Von dem neuen Pfarrer und seiner Frau. Sie sind kaum angekommen und haben schon das alberne Gerücht von dem undankbaren Pflegekind gehört, das mich angeblich in Armut gestürzt hat.“ Birdie neigte den Kopf zur Seite und sah Misty an. „So ein Blödsinn, aber das habe ich den beiden auch gesagt. Wer erfindet nur so etwas?“
    „Es muss mit Dawn zusammenhängen. Jemand hat davon gehört und alles falsch verstanden.“ Misty verschwieg, dass der allmähliche Niedergang von „Fossetts“ bei den braven Mitbürgern zu Spekulationen geführt hatte, die in der Äußerung gipfelten, „dass nichts Gutes dabei herauskommen könne, wenn man schlechte Kinder in sein Haus hole“.
    Unglücklicherweise hatte Dawn, die tatsächlich eine Pflegetochter der Pearce’ gewesen war, Birdie im vorigen Jahr einen Besuch gemacht und bei dieser Gelegenheit ihren gesamten Schmuck gestohlen. Birdie hatte auf eine Anzeige verzichtet, denn Dawn war drogenabhängig und daher in einer verzweifelten Lage gewesen. Auf Birdies Drängen und auch auf ihren eigenen Wunsch hin hatte Dawn eine erfolgreiche Entziehungskur gemacht, aber kein einziges Schmuckstück war wieder aufgetaucht.
    „Warum denken die Menschen nur so schlecht von anderen?“, fragte Birdie mit trauriger Miene. Sie gehörte zu den wenigen, die immer versuchten, alles zum Besten zu wenden.
    „Nicht alle“, versuchte Misty sie zu trösten.
    „Aber nun zu dir.“ Birdies Miene hellte sich auf. „Was hast du mir von diesem gut aussehenden Sizilianer bei ‚Brewsters‘ zu erzählen? Ich war nie in der glücklichen Lage, einem dieser sagenhaften Tycoons zu begegnen. Außer im Fernsehen“, fügte sie lächelnd hinzu.
    Misty lächelte ebenfalls, aber gleichzeitig trieb ihr die zärtliche Liebe zu ihrer alten Pflegemutter die Tränen in die Augen, und sie musste sich abwenden. Es gelang ihr nie, Birdies naiven Optimismus zu teilen, selbst jetzt nicht, da Leone Andracchi als Retter in der Not erschienen war. Sie hätte ihm dankbar sein müssen, und was tat sie? Sie ärgerte sich über einen Kuss, als stammte sie aus der Viktorianischen Zeit!
    „Mr. Andracchi hat mir eine Stellung in London angeboten.“ Misty wagte nicht, Birdie bei dieser Eröffnung in die Augen zu sehen. „Was würdest du dazu sagen, wenn ich für einen oder zwei Monate fortginge?“
    „Um für einen attraktiven Millionär zu arbeiten?“, fragte Birdie scherzhaft, nachdem sie sich von der ersten Überraschung erholt hatte. „Ich

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