Julia Festival 94
sein Grundstück zu verlassen. Eine wie ich, fügte er hinzu, könne nicht erwarten, von ihm oder seiner Tochter mit offenen Armen aufgenommen zu werden.“
„Dio mio!“ Leone war blass geworden. Wahrscheinlich bereute er inzwischen, das Thema angeschnitten zu haben.
„Birdie ist meine Familie“, erklärte Misty fest. „Es war dumm, in Mums Vergangenheit herumzustöbern. Ich habe durch sie nur Zurückweisung und Erniedrigung erfahren.“
Leone zog Misty gegen ihren Widerstand an sich. „Ich werde nie wieder daran rühren.“
Doch das kurze Gespräch hatte schon zu viel in Misty aufgewühlt. Sie wollte allein sein und flüchtete ins Badezimmer. Dort drehte sie den Wasserhahn auf, denn sie begann heftig zu schluchzen und fürchtete, es könnte nebenan zu hören sein.
Zu ihrer Überraschung lief dampfend heißes Wasser aus dem Hahn. Sie drückte den Stöpsel in den Abfluss der Wanne, ließ sie bis zur Hälfte volllaufen und stieg dann ins Wasser. Dort saß sie mit angezogenen Beinen, den Kopf auf die Knie gelegt, und wünschte, der Schmerz und die Verwirrung, die nach dem ekstatischen Zusammensein mit Leone zurückgeblieben waren, möchten vorübergehen.
Warum hatte sie ihm all diese persönlichen Dinge erzählt? Nachträglich schämte sie sich deswegen. Sie hatte an seinem Blick bemerkt, wie peinlich ihm die Eröffnungen gewesen waren. Er wusste nicht, wie man sich mit einer Vergangenheit wie ihrer fühlte, denn die Andracchis kannten sich bestimmt seit Generationen. Sagte man nicht gerade von italienischen Familien, dass sie besonders eng zusammenhielten?
Nach einer Weile klopfte Leone an die Badezimmertür, aber Misty achtete nicht darauf. Erst als er hereinkam, hob sie den Kopf und sagte trotzig: „Ich habe das ganze heiße Wasser verbraucht.“
„Und ich habe unten im Wohnzimmer nach einer Flasche Cognac gesucht und bin dabei von Murdo überrascht worden“, berichtete Leone in gereiztem Ton.
„Ach, herrje!“ Misty konnte sich die peinliche Szene lebhaft vorstellen und musste trotz allem lächeln.
„Du könntest mir den Gefallen tun und wenigstens etwas davon trinken.“
„Ich bin in einer Minute bei dir“, versprach Misty. Plötzlich sah die Welt nicht mehr ganz so dunkel aus. Vielleicht würde sie sich bei Leone revanchieren und ihm das nächste Mal doch wieder den Kaffee süßen.
7. KAPITEL
Misty reckte sich schläfrig. Sie fühlte ihren Körper heute Morgen ganz anders als sonst, und er tat ihr an Stellen weh, von denen sie bisher nichts geahnt hatte. Leone … Der Gedanke an ihn wärmte sie wie ein inneres Feuer und löschte alle anderen Erinnerungen aus. Sie wollte nur daliegen und das Glück genießen, das sie nach dieser Nacht wie eine schützende Hülle umgab.
Doch es war nur ein vorübergehendes Glück, ermahnte sie sich schnell. Sie hatte gehandelt, ohne zu überlegen, und blind der Versuchung nachgegeben. War sie nicht alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu fällen? Ja, sie war alt genug, aber dieses eine Mal wollte sie nur dem Augenblick leben und der Fülle all dessen, was er versprach.
Langsam öffnete Misty die Augen. Die Vorhänge waren zurückgezogen, und trübes Tageslicht fiel ins Zimmer. Leone stand am Fenster. Wie hatte sie sich je einbilden können, ihn zu hassen? Hatte sie hinter diesem Hass nur ihre wahren Gefühle versteckt? Ihre starke Zuneigung zu ihm? Ihre Abhängigkeit? Er hatte diese falsche Mauer heute Nacht eingerissen und sie zu sich selbst zurückgeführt. Sicher ahnte er nicht einmal, wie dankbar sie ihm dafür war.
Leones Handy klingelte. Er zog es aus der Tasche und begann schnell und eindringlich auf Italienisch zu sprechen. Misty beobachtete ihn dabei und erschrak über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war.
Leone sah hart, fast zornig aus – so hart wie damals bei „Brewsters“, als er ihr ohne einen Anflug von Humor, ohne den geringsten Hinweis auf seine verborgenen Leidenschaften diesen rätselhaften Vertrag angeboten hatte.
Dafür konnte es nur eine Erklärung geben, und die kostete Misty ihr flüchtiges Glück. Leone bedauerte, was geschehen war. Er bedauerte es sehr. Deshalb war er heimlich aufgestanden und hatte sie schlafen lassen. Alle Männer, die ein kurzes Sexabenteuer bereuten, verhielten sich so. Nur ein kleiner Unterschied bestand: Leone war noch da, und warum? Weil er in diesem einsamen Schloss wie in einer Falle saß.
Er gehörte zu den verabscheuungswürdigen Männern, die nur die Jagd liebten und nach der
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