Julia Festival 94
gute Freunde, die ihn um jeden Preis schützen.“ Die starke innere Erregung ließ Leones sizilianischen Akzent stärker hervortreten. „Einer dieser guten Freunde ließ verbreiten, dass Oliver an jenem Abend zusammen mit ihm nach Cornwall gefahren sei.“
Alles Blut war aus Mistys Gesicht gewichen. „Hast du ihn nie persönlich zur Rede gestellt?“, fragte sie stockend.
„Er hätte mich wegen Verleumdung verklagen können, denn ich hatte keine Beweise. Seine ganze politische Karriere hing an diesem falschen Alibi wie an einem seidenen Faden. Ich musste noch teuflischer vorgehen als er, wenn ich Battistas Tod rächen wollte.“ Leone atmete tief ein. „Bei fast jedem, der im Licht der Öffentlichkeit steht, gibt es in der Vergangenheit einen dunklen Punkt, den er zu verbergen sucht. Ich ließ gründliche Nachforschungen über Oliver anstellen und stieß dabei auf dich.“
Und stieß dabei auf dich! Es war Misty, als würde ein Vorhang vor ihren Augen weggezogen. Plötzlich fügte sich alles zusammen und ergab ein Bild, vor dem sie schaudernd zurückwich. Sie blickte Leone starr an und hoffte, er würde ihr den schrecklichen Verdacht nehmen.
„Oliver Sargent ist ein korrupter Politiker und führt ein Doppelleben. Ich wollte ihn entlarven, aber vorher sollte er leiden.“ Leones dunkle Augen wirkten wie erloschen. „Du warst das Werkzeug meiner Rache.“
„Nein …“, hauchte Misty.
Leone sprang auf und ging erregt hin und her. „Ich zwang mich, dich nicht als Menschen zu sehen. Du gehörtest für mich zu dem Mann, den ich mehr als jeden anderen hasste. Welcher Triumph, als schon die ersten flüchtigen Ermittlungen ergaben, dass du kein Engel warst! Für mich zählte ja nur, dass deine bloße Existenz eine Bedrohung für den falschen Moralwächter der Nation darstellte.“
„Bitte sag mir, dass das alles nicht stimmt.“ Misty konnte kaum die Lippen bewegen. „Sag mir, dass alles nur ein böser Traum ist …“
„Niemand täte das lieber als ich, amore. Glaubst du, ich wollte dir die Wahrheit sagen? Ich hatte keine andere Wahl. Heute stehst du noch unter Schock, aber schon morgen hättest du dir auf alles selbst einen Reim gemacht. Ich habe dich als falsche Geliebte engagiert, um dich in die Klatschspalten zu bringen und die Neugier der Reporter auf dich zu lenken.“
Leone stand mehrere Meter entfernt, doch das war noch zu nah. Misty sprang auf und wich mit ausgestreckten Armen zurück. Sie wollte schreien, aber eine teuflische Macht verschloss ihr den Mund.
„Ich legte einen Köder aus, der die Presse auf die richtige Spur führte … auf die Verbindung zwischen Oliver und dir. Auch eure Begegnung in Schottland war geplant. Erst dort begriff ich, welche Folgen meine Rache für dich haben könnte, aber da war es schon zu spät.“
„Zu spät?“, wiederholte Misty, die sich noch nie in ihrem Leben so verraten gefühlt hatte.
„Ich tat alles, um eine Begegnung zwischen dir und Oliver zu verhindern, denn mir war klar, dass die Nennung deines Namens genügen würde, um ihm deine Identität zu verraten. Ich fuhr nur zum Angeln, um ihn im Auge zu behalten, aber er saß im zweiten Boot, zu dem wir bald den Kontakt verloren. Am Morgen, während du noch geschlafen hast, rief ich meine Gewährsleute an und beschwor sie, dich aus der Geschichte herauszuhalten, aber alles war vergebens. Pandoras Büchse ließ sich nicht mehr schließen.“
Misty sank hilflos in den nächsten Sessel. Leone hatte ihr zu viel zugemutet, sie konnte nicht alles auf einmal verarbeiten. Also war sie nicht irgendeine falsche Geliebte, sie war die einzig mögliche, bewusst ausgesucht, um ihm zur Durchführung seines Plans zu dienen. Werkzeug einer sizilianischen Rache …
Das Blut stockte ihr in den Adern! Wie musste man sein, um so mit anderen Menschen umzugehen? Kalt und berechnend.
Und man musste schlau sein, um einen so einfachen wie raffinierten Plan zu erfinden.
„Kein Wunder, dass du mich nicht eingeweiht hast“, sagte sie bitter.
„Als ich dich besser kennenlernte, wurde mir klar, dass ich den falschen Weg gewählt hatte.“
„Ein schöner Trost! Hast du wirklich geglaubt, dass du mit Geld gutmachen könntest, was du mir angetan hast?“
Leone stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich schäme mich, es zuzugeben, aber anfangs habe ich das geglaubt.“
„Nur anfangs?“ Misty hatte den ersten Schock überwunden, und damit kehrte auch ihr Temperament zurück. „Dir war doch alles egal. Sei wenigstens
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