Julia Festival 94
er tat, war gut vorbereitet, also auch dieses Gespräch. Hätte sie ihn doch vorher anhören sollen? Leone gehörte zu den Männern, die sich durch nichts überraschen ließen. Stand ihr eine umso größere Überraschung bevor?
9. KAPITEL
Sie frühstückten in dem eleganten, im Erdgeschoss gelegenen Esszimmer, und Misty machte eine große Szene daraus, Leones Kaffee zu süßen.
„Kannst du nicht für einen Augenblick ernst sein?“, seufzte er.
Misty spielte die Reumütige, aber ernst zu sein hatte sie keine Lust. Erst vor zwei Stunden hatte sie geglaubt, allen Boden unter den Füßen zu verlieren, und jetzt stand sie plötzlich auf einem neuen Fundament. Natürlich konnte sie die Enthüllungen über Oliver Sargent nicht einfach ignorieren, aber nichts war geeignet, ihr ihre Zufriedenheit zu nehmen.
Salvatore, der italienische Diener, hob den Deckel von der Servierplatte, und der Duft von Rührei und frisch gebratenem Speck stieg Misty in die Nase. Sie hatte sich eingebildet, großen Appetit zu haben, aber zu ihrer eigenen Überraschung empfand sie plötzlich eine würgende Übelkeit. Sie sprang auf, lief zum Waschraum und schloss hinter sich ab.
Leone folgte ihr und schlug mit beiden Fäusten gegen die Tür. „Was ist los, amore? Fühlst du dich nicht wohl?“
Misty hielt sich am Waschbecken fest und sah stöhnend in den Spiegel. Ihr Magen revoltierte immer noch, und zusätzlich war ihr schwindlig. Als die Übelkeit etwas nachließ, wusch sie sich Gesicht und Hände und erneuerte vorsorglich ihr Makeup, um nicht ganz so elend auszusehen. Ausgerechnet jetzt, da sie strahlend schön sein wollte, musste sie sich irgendeinen üblen Virus einfangen!
Leone wartete vor der Tür, als sie aus dem Waschraum kam. „Ich habe doch keinen so großen Appetit“, erklärte sie und rang sich ein Lächeln ab.
„Dann bist du nicht krank?“
„Natürlich nicht.“ Sie setzte sich wieder an den Tisch, trank vorsichtig etwas Tee und sah Leone aufmunternd an. „Du wolltest, dass ich ernst bin. Jetzt ist es so weit.“
Leone hatte sein Frühstück noch nicht angerührt. „Zunächst möchte ich dir von meiner Schwester Battista erzählen“, begann er mit spürbarer Überwindung.
Misty schenkte ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Es rührte sie, dass er bereit war, seinen Kummer mit ihr zu teilen.
„Battista studierte Politikwissenschaft und war im letzten Sommer Praktikantin bei Oliver Sargent“, fuhr Leone fort. „Sie war neunzehn Jahre alt und verliebte sich in ihn.“
„Wirklich?“ Misty dachte inzwischen so schlecht von ihrem vermeintlichen Vater, dass sie das überraschte.
„Er schlief mit ihr.“
Das war mehr, als Misty erwartet hatte. „Weißt du das genau?“
„Ganz genau. Battistas beste Freundin hat mir in ihrer Verzweiflung alles erzählt. Oliver behandelt seine außerehelichen Affären mit höchster Diskretion. Er besitzt ein kleines Cottage, das nur seine Geliebten kennen.“
Misty senkte betroffen den Blick. Also war der Mann, der ihre Mutter mit den Zwillingen im Stich gelassen hatte, immer noch ein Verführer und ehrloser Mistkerl. Sie verstand jetzt die starke Abneigung zwischen Leone und Oliver, und sie verstand auch, warum Jenny diese Abneigung auf ihre Weise erklärt hatte, um der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen.
„In der Nacht, als Battista starb, fuhr sie mit Oliver zu dem Cottage. Leider ist es mir bis heute nicht gelungen, einen Beweis dafür zu finden, dass er mit ihr im Auto saß. Der Wagen kam von der Straße ab … auch dafür gibt es keine Zeugen. Battista wurde im Wrack eingeklemmt. Oliver überließ sie ihrem Schicksal und floh.“
„Unmöglich!“, platzte Misty heraus.
„Erst nach einer guten Stunde erhielt die Polizei einen anonymen Anruf. Ich bezweifle, dass Oliver selbst der Anrufer war, aber das spielt keine Rolle. Für Battista kam ohnehin jede Hilfe zu spät. Mein einziger Trost war die Versicherung der Ärzte, dass sie zu schwer verletzt gewesen war, um nach dem Unfall noch einmal zu sich zu kommen …“ Leone hatte immer leiser gesprochen und verstummte dann ganz.
Misty hatte Mühe, die grausige Geschichte zu glauben. „Woher weißt du so genau, dass Oliver mit im Auto saß?“, fragte sie.
„Ich wusste es, als ich ihn zum ersten Mal wiedersah. Schuld und Angst vor Entdeckung waren ihm ins Gesicht geschrieben. Er ist ein geschickter Taktiker, aber er fürchtete, ich könnte beweisen, dass er an dem Unglücksabend bei Battista war. Leider hat er
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