Julia Festival Band 0103
Mummy war müde und hat geschimpft. Sie sagte, dass sie nicht verstehen kann, warum Daddy mich nicht zur Schule bringt, damit sie ausschlafen kann.“
„Ich bin davon ausgegangen, dass Mummy sich freuen würde, weil sie endlich einmal wieder Zeit hatte, dich in die Schule zu bringen, Katy. Sie hatte in den letzten Wochen schließlich so viel zu tun, dass ihr euch kaum gesehen habt geschweige denn Zeit hattet, in Ruhe miteinander zu sprechen.“ Ursula merkte, dass es Ross größte Mühe kostete, sich zu zügeln.
„Und sonst ist dir wirklich nichts aufgefallen, Katy?“, versuchte sie es noch einmal.
Katy biss sich auf die Lippe und blickte starr auf ihre Schuhspitzen. Als sie den Kopf wieder hob, standen ihr die Tränen in den Augen. „Nur … nur … Julian.“
Ross erstarrte. „Wie meinst du das, nur Julian ?“
„Auf dem Weg zur Schule haben wir Julian abgeholt.“
„Ihr habt den Riesenumweg über Maida Vale gemacht?“, fragte er ungläubig. „So früh am Morgen?“
„Wir haben Julian nicht zu Hause abgeholt, Daddy, sondern in dem Hotel bei uns um die Ecke.“
„So? Und warum hat Julian ausgerechnet dort auf euch gewartet? Hat Mummy das auch gesagt?“, erkundigte er sich spöttisch.
Ursula befürchtete, dass er seine Vermutungen in Gegenwart seiner Tochter zu deutlich aussprechen könnte, und das musste sie unbedingt verhindern, zumal seine Verdächtigungen bisher ja wirklich reine Spekulation waren.
„Ich finde es hier in der Sonne unerträglich heiß“, erklärte sie deshalb. „Lasst uns gehen. Außerdem stehen die Direktorin und die Schulsekretärin schon die ganze Zeit hinter der Gardine und beobachten uns.“
Ross nickte. „Ja, lasst uns von hier verschwinden. Hoffentlich finden wir gleich ein Taxi.“
Ursula war da ganz anderer Meinung, denn ihr war klar, dass ein entspanntes Gespräch in der Enge des Autos und mit dem Fahrer als unfreiwilligem Zuhörer unmöglich sein würde. Deshalb rümpfte sie die Nase. „Wer möchte denn bei diesem Wetter in einem muffigen Taxi sitzen? Ich fände einen Spaziergang viel schöner – und einen Eisstand habe ich auch schon gesehen.“
„Oh ja, Daddy, das ist ein prima Idee. Findest du nicht auch?“ Endlich war Katy wieder ganz die Alte.
„Ja, das finde ich auch.“ Ross zwinkerte Ursula zu, und zu dritt machten sie sich auf den Weg. Über ihrer großen Portion Eis hatte Katy ihren Kummer schnell vergessen und lief fröhlich voraus. Ursula nutzte die Gelegenheit und sah Ross fragend an. Der zuckte jedoch nur die Schultern und schüttelte den Kopf. Also wusste auch er nicht mehr als Katy.
Als sie schließlich um die Ecke bogen und das Haus in Sicht kam, blickten sie automatisch zum Wohnzimmerfenster. Allerdings stand dort keine Jane und wartete auf sie. Auch als Ross die Tür aufschloss, blieb es bis auf das Ticken der antiken Standuhr völlig still. Zwei Stufen auf einmal nehmend eilte er nach oben, während Katy stehen blieb und ihm unsicher hinterherblickte.
Ursula überlegte krampfhaft. Wie konnte sie Katy nur beschäftigen, bis Ross sich eine überzeugende Erklärung für Janes Verhalten ausgedacht hatte? „Warum gehst du nicht erst einmal duschen und ziehst dir dann etwas anderes an, Katy?“, schlug sie deshalb vor. „Du musst ja umkommen in deiner Schuluniform.“
„Super!“ Katy war begeistert. „Meine Lehrerin hat mir auch ausdrücklich gesagt, dass mein Haar für die Aufführung heute Abend frisch gewaschen und duftig sein muss. Immerhin spiele ich die Frühlingsfee.“
„Dann aber rasch, kleine Fee!“ Ross kam die Treppe herunter und lächelte Katy, die ihn erwartungsvoll anblickte, liebevoll zu. „Mummy hat leider keinen Brief für dich hingelegt, aber sie wird uns bestimmt anrufen und sagen, was passiert ist.“
„Wirklich, Daddy?“
Er zögerte. „ Wissen kann ich es natürlich nicht, Katy, allerdings glaube ich es ganz sicher.“
Katy nickte nur.
„Und jetzt ab ins Badezimmer mit dir“, forderte Ursula sie auf, und Katy hüpfte ausgelassen davon.
„Zu Tode betrübt scheint sie nun wirklich nicht zu sein“, meinte Ross erstaunt und sah ihr nach.
Und du auch nicht, setzte Ursula im Stillen hinzu. „So sind Kinder nun einmal“, sagte sie laut. „Sie kommen über traurige oder unangenehme Dinge schnell hinweg – glücklicherweise.“
Ross nahm sich die Post, die auf dem Tisch neben dem Telefon lag, und blätterte die Briefe durch. „Nichts!“ Er strich sich mit beiden Händen durchs Haar. „Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher