Julia Festival Band 0103
können.
Als sie jedoch um zwanzig nach elf aus dem Lift trat und zur Wohnungstür ging, verließ sie der Mut.
Amber läutete, denn so war ihr Auftritt weitaus wirkungsvoller, als wenn sie einfach aufgeschlossen hätte und hineingegangen wäre. Sie hatte noch den Finger auf dem Klingelknopf, da wurde die Tür schon aufgerissen, und Finn stand vor ihr.
Wie stets war er ganz in Schwarz gekleidet. Das und seine unnatürliche Blässe lenkten den Blick des Betrachters unwillkürlich auf seine Augen, die beinahe unnatürlich grün wirkten. Finns ganze Haltung und sein Gesichtsausdruck ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass er nach wie vor unversöhnlich und zu keinerlei Kompromissen bereit war. Dennoch, und obwohl er mager und ausgezehrt wirkte, gab es wohl kaum eine Frau, die sich seiner männlichen Ausstrahlung hätte entziehen können.
„Wo bist du gewesen?“, herrschte er sie an.
„Das weißt du doch: bei Ursula.“
Er sah auf die Uhr. „Bis jetzt ?“, fragte er ungläubig.
Amber empfand tiefe Genugtuung. So wütend hatte sie Finn noch nie erlebt. Vielleicht war diese provozierende Art, ihn zu behandeln, viel wirkungsvoller als die sanfte Nachgiebigkeit, die sie ihm gegenüber bisher gezeigt hatte.
„Du hast mich durchschaut, Finn“, antwortete sie deshalb schnippisch. „Ich habe mich im Rotlichtviertel von Soho herumgetrieben, um nach Kunden Ausschau zu halten.“
Durchdringend und ohne sich im Geringsten zu beeilen, musterte er sie ausgiebig von Kopf bis Fuß. Amber erbebte unter seinen Blicken wie eine Sechzehnjährige.
„Daher dein Outfit“, bemerkte er nur.
Für diese Beleidigung hätte Amber ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Aber wie sie sich vorgenommen hatte, blieb sie ihrer Rolle treu und bewahrte Würde.
„Möchtest du mich nicht reinbitten?“, fragte sie und lächelte.
„Seit wann brauchst du dazu eine Einladung?“ Finn trat zur Seite, um ihr den Weg freizumachen, was Amber ausnutzte, um so dicht an ihm vorbeizugehen, dass sie ihn streifte. Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog, und hielt den Atem an. Würde er sie jetzt in die Arme nehmen und küssen? Würde er sie jetzt ins Schlafzimmer tragen und die Party Party sein lassen?
Finn tat nichts dergleichen.
Stattdessen starrte er auf ihren Po, dessen Rundungen sich unter dem hauchdünnen Stoff deutlich abzeichneten. „Hast du überhaupt einen Slip an?“, fragte er heiser.
„Das möchtest du wohl gern wissen, was?“ Gespielt gleichgültig und mit klopfendem Herzen ging sie ins Wohnzimmer, um sich einen Drink zu holen, denn den hatte sie jetzt dringend nötig.
Finn folgte ihr, wenn auch widerstrebend, wie sie zu spüren glaubte. So, als würde er es gegen besseres Wissen tun. Aus den Augenwinkeln beobachtete Amber, dass etliche Frauen Finn hingerissen betrachteten. Im Moment war Finns ungeteilte Aufmerksamkeit allein auf sie, Amber O’Neil, gerichtet. Zum ersten Mal im Leben gab ihr das Wissen um ihre Wirkung auf ihn ein berauschendes Machtgefühl.
Dennoch hatte sie keine ruhige Hand, als sie sich ein Glas Champagner nahm. Nachdem sie es in einem Zug geleert hatte, stellte sie es auf ein Tablett zurück und drehte sich um. Amber beglückwünschte sich zu ihrem Entschluss, ein türkisfarbenes Kleid gekauft zu haben, denn alle anderen Frauen trugen Schwarz. Ein Gast, der mit den Gewohnheiten der Szene nicht vertraut ist, könnte meinen, er sei bei einer Trauerfeier und nicht auf einer Silvesterparty, dachte sie und lächelte spöttisch, obwohl der Gedanke gar nicht so abwegig war, denn auch sie fühlte sich wie auf einer Beerdigung – ihrer eigenen. Sie griff erneut zu einem gefüllten Glas.
„Willst du dich betrinken?“, hörte sie eine nur zu vertraute Stimme hinter sich und wandte sich um. Dunkel und bedrohlich stand Finn vor ihr. Sein Anblick stieg ihr weit mehr zu Kopf als der schnell hinuntergestürzte Champagner.
Sie wich seinem vorwurfsvollem Blick nicht aus. „Vielleicht.“
„Und aus welchem Grund?“
„Das fragst ausgerechnet du ?“, fuhr Amber ihn an. Sie ertrug es plötzlich nicht länger, diese Unaufrichtigkeit, dieses Sich-Verstellen und die Tatsache, dass Finn nicht mehr der warmherzige und zärtliche Geliebte, sondern ein eiskalter, ihr völlig fremder Mensch war. Sie hatte geplant gehabt, mit der Aussprache bis Mitternacht zu warten, aber dazu fehlte ihr nun doch die Geduld.
„Seit Tagen weichst du mir aus, hast schlechte Laune und legst ein Verhalten an den Tag, das ich nicht
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