Julia Festival Band 0105
Es handelte sich um eines jener Stücke, die schwieriger klangen, als sie eigentlich waren. Nach einem nervösen Beginn meisterte sie es recht gut.
„Lady Markham hat dir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt, lieber Bruder“, meinte Steffie auf dem Heimweg. „Übt sie schon für ihr Leben als lustige Witwe?“
„Ich glaube, das braucht sie nicht. Sie dürfte bereits alles genau geplant haben“, erwiderte Miles spöttisch.
Als sie Silvertrees erreichten, entschuldigte Steffie sich und ging sofort ins Bett. „Zu viel Aufregung ist nicht gut für mich.“
„Und was ist mit dir, Francesca?“, fragte Miles leise, als sie allein waren. „Bist du zu aufgeregt, um heute Nacht Schlaf zu finden?“
„Warum sollte ich?“
Er zuckte die Schultern. „Du hattest einen recht ereignisreichen Abend. Deine Darbietung war übrigens virtuos.“
„Ich war immer nur eine durchschnittliche Klavierspielerin“, wehrte sie ab.
„Vielleicht habe ich das gar nicht gemeint.“
„Dann sag doch, was du meinst. Für heute reicht es mir. Ich wurde von dieser Hexe gedemütigt“, fuhr sie hitzig fort. „Ich musste mit ansehen, wie jemand, den ich einmal sehr respektiert habe, hilflos leidet. Und als Krönung soll Court auch noch verkauft werden, und alle ziehen weg …“ Zu ihrer eigenen Überraschung brach sie in Tränen aus.
„Oje.“ Miles führte sie zur Couch und zwang sie sanft, sich hinzusetzen. Dann drückte er ihr ein Taschentuch in die Hand und holte ihr einen Brandy. „Trink das.“
Chessie wünschte, er würde sich neben sie setzen, damit sie sich an seiner Brust ausweinen konnte. Aber er ließ sich auf dem Sofa ihr gegenüber nieder.
„Es geht dir wirklich nahe, oder?“, fragte er nach einer Weile.
„Ja.“ Sie trank einen Schluck.
Wie sollte sie erklären, dass Sir Roberts Gesicht nicht mehr zu ihm gehörte und seine Sachen so groß wirkten, als wäre er geschrumpft? Und statt Herr im eigenen Haus zu sein, war er bloß eine Belastung für seine Familie. Sie wollten ihn in ein Heim sperren und vergessen, weil Linnet wieder nach Spanien wollte und Alastair einen Job in London hatte. Die beiden waren boshaft und oberflächlich.
Was am schlimmsten war, Chessie konnte an nichts anderes denken, als dass Miles auch bewegungsunfähig im Rollstuhl sitzen könnte.
Sie stellte das Glas auf den Tisch. „Entschuldige, ich habe mich wie eine dumme Gans benommen. Ich gehe jetzt ins Bett.“
„Gute Nacht, Francesca. Ich hoffe, du schläfst gut.“
Sie blickte ihn an, und alles, was sie für ihn empfand, alles, was sie sich erhoffte und erträumte, durchströmte sie wie eine gewaltige Woge und riss sie mit sich fort.
Wie durch einen dichten Nebel hörte sie ihre eigene Stimme. „Darf ich heute bei dir schlafen?“
Es dauerte einen Moment, bis er antwortete. „Nein, das wäre keine gute Idee.“
„Begehrst du mich nicht?“
„Doch, und zwar viel zu sehr, um dir den Trost bieten zu können, den du heute Nacht brauchst. Ich bin kein Heiliger, Francesca, und auch nicht in der Stimmung, ein unerfahrenes Mädchen in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen. Meine Bedürfnisse sind heute ganz anderer Natur. Glaub mir, wir lassen die Dinge lieber so, wie sie sind.“
„Ja“, wisperte sie. „Entschuldige. Gute Nacht.“ Chessie verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
9. KAPITEL
An jedem anderen Sonntag hätte Chessie Miles aus dem Weg gehen können, denn die Wochenenden gehörten zu ihrer sorgsam gehüteten Freizeit. Aber Steffies Anwesenheit änderte alles. Also musste Chessie ihr Versteck verlassen, Kaffee kochen, das Essen zubereiten und irgendwann am Nachmittag Auf Wiedersehen sagen. Sie musste so tun, als wäre alles in schönster Ordnung.
Als sie den Haupttrakt erreichte, fand sie die Tür zum Arbeitszimmer fest verschlossen vor. Dahinter klapperte die Schreibmaschine.
Steffie hatte es sich mit der Sonntagszeitung auf einem der Sofas im Salon bequem gemacht. „Ich dachte, der Sonntag sei ein Ruhetag“, sagte sie lächelnd. „Trotzdem ist mein lieber Bruder seit Tagesanbruch hier unten und hackt auf den Tasten herum.“
„Der Roman ist jetzt in einer kritischen Phase“, erwiderte Chessie ausweichend.
„Ach ja? Nun, ich hätte eine ganz andere Ursache vermutet.“ Sie blickte Chessie prüfend an. „Habt ihr beide euch gestern Abend gestritten?“
Chessie biss sich auf die Lippe. „Nein.“
„Es hat dich nicht gestört, dass ihn Miss Nachtschatten umgarnen wollte? Und er
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