JULIA FESTIVAL Band 78
Das war schlimmer als ihre schlimmsten Albträume. Und so sehr sie den Liebhaber ihrer Mutter für seine Härte und Brutalität gehasst hatte, so hasste sie Jeff in diesem Augenblick noch um vieles mehr. Für eine Liebe, die er nur vorgetäuscht hatte. Ganz bewusst.
Doch daran durfte sie jetzt nicht denken. Sie musste ihn aus ihren Gedanken verbannen. Und ihn mit einer erfundenen geschäftlichen Verpflichtung für Marlees Hochzeitsfeier entschuldigen.
Heute war Marlees großer Tag. Und sie würde ihn um keinen Preis verderben. Und wie viel es sie auch kosten mochte, sie würde glücklich aussehen. Für ihre Freundin.
Auf diese Weise hatte sie die Möglichkeit, Marlees Geschenk zu vergelten. Das Geschenk, für das gegenseitige Glück zu sorgen. Das zählte mehr als alles andere an diesem Tag. An Marlees Hochzeitstag.
2. KAPITEL
„Willst Du, Ray Martin Selby, diese Frau, Marlee Jane Richards, zu deiner dir rechtmäßig angetrauten Frau nehmen, sie von diesem Tage an lieben und ehren …“
Aus dem Mund des Standesbeamten klangen diese veralteten Worte noch immer sehr ehrfurchtsvoll. Carolyn lächelte und hielt ihren Blick standhaft auf die vor Glück strahlende Braut gerichtet. Aber innerlich kämpfte sie verzweifelt gegen aufkommende Tränen. Du darfst nicht weinen, du darfst nicht weinen, hämmerte sie sich unablässig ein. Denn wenn sich auch nur eine einzige Träne löste, könnte sie einen Weinkrampf nicht mehr verhindern.
Ray leistete seinen Treueschwur mit fester, tiefer Stimme und voll inbrünstiger Überzeugung. Dann gab Marlee ihr Ehegelübde. Sanft und leise, aber genauso bestimmt und überzeugt. Beide schauten sich voll zärtlicher Zuneigung an.
Dies ist die wahre Liebe, dachte Carolyn. Präge es dir gut ein. Dann wirst du dich nie wieder narren lassen. Nur so sieht wahre Liebe aus, nur so hört sie sich an.
Jetzt trat Cliff vor und überreichte die Goldringe. Ray nahm sie lächelnd entgegen und wandte sich dann Marlee zu, die das Lächeln verzaubert erwiderte. Auch Cliff lächelte herzlich. Dann schaute er zur Seite, um Carolyn mit einzubeziehen. Es war das erste Mal, seit sie ihn kannte, dass er diese Herzlichkeit, von der Marlee so schwärmte, auch ihr zukommen ließ. Und aus irgendeinem unersichtlichen Grund durchbrach er damit ihre eiserne Beherrschung.
Sie merkte verzweifelt, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sofort senkte sie den Blick, schloss ihre Lider halb, atmete tief durch und fuhr vorsichtig und verstohlen mit dem Finger unterhalb der Augen entlang, bis der Drang zum Weinen unterbunden war und sie sich wieder gefasst hatte. Erleichtert hörte sie, dass auch schon die Schlussworte der Trauungszeremonie gesprochen wurden: „… und somit ernenne ich euch zu Mann und Frau.“
Der Standesbeamte stellte sich vor Ray und Marlee, um sie hinüber zu dem Tisch in der Rosenlaube zu führen, an dem die Trauungs-Urkunde unterzeichnet werden sollte.
Plötzlich erschienen Carolyn die wenigen Schritte zu Cliff hin unmöglich. Sie musste sich zum Gehen zwingen. Als Trauzeugin war es ihre Aufgabe, an Cliffs Seite hinter dem Brautpaar herzuschreiten. Davor liefen die Blumenmädchen. Ein Fotograf wartete schon darauf, diesen wichtigen Moment der Zeremonie festzuhalten.
Carolyn konnte heute keinen Mann in ihrer Nähe ertragen, am allerwenigsten Cliff Selby. Aber sie hatte eine Rolle zu spielen. Und das würde sie tun, so gut sie nur konnte.
Sie nahm den Blumenstrauß in die linke und legte die rechte Hand auf Cliffs Arm. Es war nur eine leichte, kaum merkliche Berührung. Aber sofort spürte sie sehr bewusst seine Stärke, seine Männlichkeit. Sie zwang sich, es einfach zu ignorieren, und starrte krampfhaft lächelnd nach vorne.
Weshalb verhielten Männer sich nur immer so schrecklich unfair? Oder lag es ganz einfach in ihrer Natur, dass sie Frauen in Sex- und Lebenspartnerinnen einteilten? Und der ersten Kategorie nichts schuldeten, sich kalt und herzlos zeigen durften? So wie Jeff?
Bei diesem Gedanken schossen ihr schon wieder Tränen in die Augen. Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können? Sie hatte sich doch geschworen, jeden Gedanken an Jeff zu vermeiden! Sie senkte den Kopf und versuchte verzweifelt, die Tränen zurückzudrängen. Doch diesmal blieben ihre Anstrengungen nicht unbemerkt.
Denn plötzlich zog Cliff ein sauberes weißes Taschentuch aus seiner Anzugjacke und bot es Carolyn an. „Nutzen Sie die günstige Gelegenheit. Im Augenblick sehen uns die anderen Gäste nur
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