JULIA FESTIVAL Band 78
Schmerz. „Du bist weder zu Cliff noch zu deinem Kind fair. Und ich hätte nie geglaubt, dass du so sein könntest.“
Carolyn versteifte sich. „Du weißt nicht, was zwischen uns vorgefallen ist, Marlee“, sagte sie eisig.
„Doch. Jedenfalls genug, um zu wissen, dass du schrecklich im Unrecht bist. Und … und selbstsüchtig!“
„Ich bin selbstsüchtig?“, wiederholte Carolyn entsetzt. „Du hältst mich für selbstsüchtig?“
„Ja! Du hast mit ihm zusammengelebt, weil du ihn geliebt hast! Und dann hast du ihm keine Chance gelassen, zu verstehen, was passiert ist. Du warst unfair. Du warst selbstsüchtig und hattest vollkommen unrecht.“
„Er hatte seine Chance!“
„Du kannst nicht erwarten, dass er gefasst reagiert, wenn du ihn aus heiterem Himmel mit Neuigkeiten wie Trennung und Schwangerschaft überfällst. Und er außerdem noch feststellen musste, dass du ihn belogen hast.“
„Du verstehst nicht …“
„Ich verstehe, dass Cliff seit jenem Abend immer wieder völlig aufgelöst zu mir und Ray gekommen ist. Aufgezehrt vor Sorge und Selbstvorwürfen. Trotzdem habe ich aus Loyalität zu dir geschwiegen und ihm nichts von dir erzählt …“
Marlee begann zu zittern. Ihre Augen brannten verzweifelt und vorwurfsvoll. Carolyn hatte ihre Freundin noch niemals in solchem Zustand erlebt. Die Leidenschaft ihrer Worte erschütterten sie. Und noch viel mehr das, was sie sagte.
„Ich habe das für dich getan, während ich zusehen musste, wie der Mann, der dich liebt, durch die Hölle geht. Er bat mich sogar, ihm von deinen Träumen zu erzählen. Er fuhr mit mir in der ganzen Gegend herum, um ein Haus zu suchen, das dir gefallen könnte. Letztes Wochenende haben wir eins gefunden … genau das Haus, das du dir immer erträumt hast, Carolyn. Mit Veranda, Terrasse, riesigem Grundstück und viel Platz für Kinder. Durch eine hohe Kaution sicherte er sich sofort das Vorkaufsrecht. Er würde dir wirklich jeden Wunsch erfüllen, Carolyn. Und ich konnte seine verzweifelte Hoffnung, dich wiederzufinden, ganz einfach nicht mehr ertragen. Deshalb hab ich ihm von deinem Job bei Ray erzählt.“
Tränen traten ihr in die Augen. „Es war falsch von dir, ihm keine Chance zu geben. Er liebt dich so sehr …“ Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Fassung wiederzuerlangen.
„Aber das Baby …“ Carolyn konnte nur noch schwach protestieren. Sie war völlig durcheinander.
„Cliff will das Kind!“, rief Marlee heftig aus.
„Aber sein erstes Kind …“
„Frag ihn danach. Soweit ich weiß, hat er dir schon die Gelegenheit dazu gegeben. Er gibt dir sicher noch eine … Er würde dir alles geben, was du willst.“
Carolyn dachte an ihre Begegnung mit Cliff und schüttelte langsam den Kopf. „Ich glaube, das geht dich nichts an, Marlee“, wies sie ihre Freundin zurück.
„Ich kann doch nicht ruhig zusehen, wie du dir und deinem Baby das antust. Es ist ein schrecklicher Fehler. Du hast Cliff nicht genug Zeit zum Nachdenken gegeben. Und gestern, als er dir alles erklären wollte, hast du ihm nicht zugehört. Ich weiß, dass er dir wehgetan hat. Aber, verdammt noch mal, Carolyn! Du hast ihn auch verletzt. Er wollte alles wieder gutmachen, und du hast ihn abgewiesen. Und wenn du so bleibst …“
Marlee sprach nicht weiter. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Carolyn sprang auf und streckte ihr die Hände entgegen. Doch Marlee wich vor ihr zurück. „Ich möchte dich nicht mehr sehen“, schluchzte sie. „Du bist nicht mehr die Carolyn, die ich kannte und liebte. Du hast dich verändert. Und …“ Sie brach ab, stürzte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Carolyn stand noch lange wie gelähmt da. Sie war zu geschockt, um sich bewegen zu können. Nach all den gemeinsamen Jahren gab Marlee ihre Freundschaft auf und stellte sich auf Cliffs Seite. Sie hatte die beiden einzigen Menschen, die ihr je etwas bedeutet hatten, verloren.
Eine tiefe Trauer erfüllte sie. Dann eine trostlose Leere. Und mit ihr die Zweifel. War es ihre Schuld?
Doch selbst wenn Marlee recht hatte … was war mit dem Kind, das Cliff so schändlich aus seinem Leben verbannt hatte? Wie wollte er das je erklären?
Ich hätte ihn anhören sollen …
Dieser Gedanke wiederholte sich. Bis er an ihrem Gewissen nagte und sie das Schuldgefühl nicht länger ertragen konnte. Ja, Marlee hatte recht. Sie war selbstsüchtig und schrecklich unfair. Sie hatte sich geweigert, ihn anzuhören. Sich geweigert, ihm zu glauben, dass er sie
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