JULIA FESTIVAL Band 84
erst Mrs. Armstrong bezahlen.“ Er sah die Frau an, die ihr Strickzeug einpackte. „Irgendwelche Anrufe, Fran?“
„Nur einer, von Rachel Pearce. Sie bittet Sie, heute Abend noch zurückzurufen, wann immer es Ihnen passt.“ Fran nahm ihre Tasche und kam auf die Haustür zu. „Ich hoffe wirklich, dass die Sache mit Kimberlys Mutter gut ausgeht. Das tut es nicht immer, wissen Sie. Ich habe so viele Zeitschriftenartikel darüber gelesen, und …“
„Ich denke, Risiken gehören zum Leben, Fran“, unterbrach Anthony sie freundlich. Negative Kommentare halfen jetzt nicht weiter.
Sie nickte. Wie immer richtete sie sich nach seinen Wünschen. Die Witwe war Mitte Fünfzig und vermisste eine Aufgabe, seit die erwachsenen Kinder von zu Hause ausgezogen waren. Sie hatte ein rundliches Gesicht und eine dralle Figur, das dauergewellte graue Haar war bieder frisiert, und ihre Kleidung wirkte matronenhaft. Während sie darauf wartete, Großmutter zu werden, strickte sie unaufhörlich Spielzeug für die heiß ersehnten Enkel. Aber das füllte sie natürlich nicht aus, und deshalb war sie froh über den Job bei Anthony Hamilton.
Und er war dankbar, dass sie sich so gut um Kimberly kümmerte. An diesem Abend gab er Fran Armstrong ihr Honorar und ein Trinkgeld.
„Sie sind ein netter Mann“, sagte sie herzlich. „Bis morgen, Kimberly. Sei so lieb und geh bald ins Bett. Du brauchst deinen Schlaf.“
„Gute Nacht, Mrs. Armstrong. Ich gehe ins Bett, sobald ich alles aus Onkel Anthony herausgeholt habe“, versprach Kimberly.
Kaum hatte er hinter der Haushälterin und Kinderfrau die Tür geschlossen, da bestürmte ihn Kimberly wieder mit Fragen. Er brauchte einen Drink und ging zur Hausbar in der Essecke, während er die ersten beantwortete. Portwein schien ihm in dieser Situation genau richtig zu sein. Anthony öffnete eine Flasche und schenkte sich eine großzügige Menge ein, dann nahm er das Glas mit ins Wohnzimmer. Er ertappte sich dabei, kritisch die Einrichtung zu betrachten, mit der er seit Jahren lebte. Schwarze Ledersofas und Ledersessel, Glastische, blaugrauer Teppich, Fernsehapparat und Hi-Fi-Anlage mit schwarzem Gehäuse, einige Skulpturen und moderne Bilder, die er schon lange nicht mehr bewusst anschaute.
Meredith Palmers Wohnzimmer hatte Anthony gefallen. Mehr Wärme. Die handgestickten bunten Kissen, die Blumen und Bücher verliehen dem Raum eine persönliche Note. Und dann das Schlafzimmer mit all den Fotos, das eine dunklere Seite von ihr verriet, die sie noch niemandem gezeigt hatte. Anthony hätte es nicht sehen sollen. Aber er hatte es gesehen, und jetzt konnte er es nicht vergessen.
Er machte es sich auf einem der Sofas bequem. Seine Nichte lümmelte sich auf dem Zweisitzer gegenüber und fragte ihn weiter aus, bis Anthony ihr alles über Meredith Palmer erzählt hatte, was er preiszugeben bereit war.
Kimberly, die unbedingt einen guten Eindruck auf ihre richtige Mutter machen wollte, begann darüber nachzudenken, was sie am Samstag anziehen sollte.
Während die Zwölfjährige grübelte, rüstete sich Anthony für das Gespräch über die heiklen Aspekte der Zusammenkunft.
„Ich weiß, wie aufgeregt du bist“, sagte er ruhig, „aber am Samstag sollt ihr euch zunächst einmal nur kennenlernen. Hast du verstanden? Versuch nicht, Miss Palmer gegen mich auszuspielen …“
„Das würde ich niemals tun, Onkel Anthony!“, rief Kimberly.
„Oder gegen Rachel.“
Kimberly wurde rot und wich seinem Blick aus.
„Du wirst dich mit einer sehr empfindsamen Frau treffen, die niemals verwunden hat, ihr Kind hergegeben zu haben. Zieh sie nicht in einen Streit über eine Schule hinein. Gib ihr nicht das Gefühl, dass du sie nur benutzt, Kimberly.“
Sie zupfte einen Moment lang sichtlich verlegen an einem der blauen Kissen, dann sah sie ihren Onkel trotzig an. „Würde es sie denn nicht interessieren, wie ich darüber denke?“
„Doch. Aber wenn du das Thema anschneidest, fühlt sich Miss Palmer hilflos und ist traurig, weil sie dabei nichts zu sagen hat. Sie hat jedes Mitspracherecht verloren, als sie dich zur Adoption freigegeben hat.“
„Das ist nicht fair!“, platzte Kimberly heraus. „Sie ist meine richtige Mutter!“
„Möchtest du wirklich Kontakt mit ihr haben, oder willst du sie benutzen?“
„Natürlich möchte ich mit ihr zusammen sein!“, protestierte Kimberly.
Anthony glaubte ihr, trotzdem spielten dabei zweifellos noch andere Dinge eine Rolle. Und deshalb ließ er nicht
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